
1. Blockform Berliner Form
In Bahnhofsbüchern und im Gespräch mit Zeitzeugen stößt man zuweilen auf eine Blockform, die es offiziell unter dieser Bezeichnung gar nicht gibt: Die Blockform Berliner Form.
Diese Blockform sichert eingleisige Strecken mit nur zwei Blockfeldern pro Blockendstelle. Es fehlt das Erlaubnisfeld wie bei der Blockform B und C. Statt dessen ist das Anfangsfeld gleichzeitig auch das Erlaubnisfeld. Über diese Blockform findet man in der Fachliteratur so gut wie gar nichts. Eine Ausnahme ist das Buch von W. Cauer „Sicherungsanlagen im Eisenbahnbetriebe“ aus dem Jahr 1922. Auf Seite 215 beschreibt Cauer die Blockform:
1. Form ohne Vermehrung der Blockfelder. Nach Abb. 277 befinden sich, wie bei der vierfeldrigen Blockung zweigleisiger Bahnen, auf jedem der beiden Bahnhöfe M und N, auf denen Befehlsstellwerke vorausgesetzt sind, je ein Streckenanfangsfeld und Streckenendfeld. Abweichend von der Anordnung auf zweigleisigen Bahnen ist aber nicht nur die Grundstellung der beiden Endfelder die Tiefstellung (geblockt), sondern auch die des einen Anfangsfeldes, in Abb. 277 bei M, das deshalb in Grundstellung rot ist. Dieses Anfangsfeld legt aber die Ausfahrsignale B und C in Haltstellung fest.
Bei diesem Zustande kann jedes der beiden Ausfahrsignale E oder F in N in Fahrtstellung gebracht werden. Geschieht dies, und findet- dann eine Zugfahrt von N nach M statt, so erfolgt für diese die Verwandlung des Anfangsfeldes in N und des Endfeldes in M, und ebenso die Rückverwandlung nach beendeter Zugfahrt ebenso, wie auf zweigleisigen Bahnen. Soll dagegen ein Zug von M nach N verkehren, so wird hierzu dadurch die Möglichkeit gegeben, daß die beiden Anfangsfelder in N und M zuvor ihre Stellung vertauschen. Wenn nämlich, ohne daß vorher eines der beiden Signale E oder F auf Fahrt gestellt ist, das Anfangsfeld in N geblockt wird, so ist es nicht mit dem zugehörigen Endfeld in M, sondern mit dem Anfangsfeld in M zusammengeschaltet, so daß das Blocken des Anfangsfeldes in N das Anfangsfeld in M in die entblockte Stellung verwandelt, worauf nun eine Fahrt von M aus erfolgen kann. Diese Einrichtung, bei der also von den vier Feldern immer drei geblockt sind, so einfach sie erscheint, erfordert verwickelte Schalteinrichtungen im Zusammenhange mit den Signalhebeln, so daß sie nur in einer geringen Anzahl von Fällen (in Mecklenburg) zur Anwendung gekommen ist.
Die Blockschaltung erfordert nicht nur, wie Cauer schreibt, „verwickelte Schalteinrichtungen an den Signalhebeln“, sondern auch speziell angepasste Blocksperren.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte diese Schaltung eine unerwartete Renaissance: Die Alliierten demontierten ab 1945 für Reparationszwecke bei zweigleisigen Strecken ein Streckengleis, sodass diese nun eingleisigen Strecken blocktechnisch angepasst werden mussten. In einigen Fällen fehlte im Blockwerk der Platz für das Erlaubnisfeld. Nun kam die Stunde der Blockschaltung „Berliner Form“.
Warum diese Schaltung so genannt wurde, muss offenbleiben. Vielleicht, weil diese Schaltung in Berlin vermehrt zum Einsatz kam?
Die Umschaltung des Anfangsfelds zum Erlaubnisfeld erfolgte über Relais. Die Schaltung war nicht besonders zuverlässig. Auf dem Stellwerk Tga war bis zur Außerbetriebnahme des Stellwerks Tga in Oktober 1984 ständig fernmündliches Rückmelden eingeführt. Das linke Foto zeigt einen Ausschnitt aus dem Lage- und Verschlußplan des Bahnhofs Schöneberg Betriebsbahnhof aus dem Jahr 1947. Es ist bisher das mir einzig bekannte Dokument, das diese Blockschaltung „Berliner Form“ nennt.
2. Auf welchen Strecken gab es diese Blockform? Erkenntnisgewinn dank CIA!
Ja, Sie lesen richtig. Meine Erkenntnis, auf welchen Strecken nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Blockform Berliner Form zum Einsatz kam, habe ich nicht etwa aus den offiziellen Dokumenten der Deutschen Reichsbahn. Nein, ausgerechnet vom US-Amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA. Die CIA hat 1951 die sicherungstechnische Ausrüstung der Rbd Berlin erfasst. Zu welchem Zweck auch immer. Nachfolgend eine Aufstellung der betroffenen Strecken in und um Berlin:[1]
Strecken mit der Blockform Berliner Form Stand 1. Januar 1951
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Anhalter Bahn |
Südende—Großbeeren
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Dresdener Bahn
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Marienfelde—Mahlow |
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Görlitzer Bahn
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Görlitzer Bahnhof—Baumschulenweg |
Schöneweide—Grünau |
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Grunewald—Spandau
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Reichssportfeld—Spandau |
Hamburg- und Lehrter Bahn
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Lehrter Bahnhof—Spandau |
Spandau—Brieselang |
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Kremmener Bahn
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Schönholz—Abzweigstelle Tga |
Abzweigstelle Tga—Reinickendorf |
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Tegel—Velten |
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Ostbahn
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Mahlsdorf—Strausberg |
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Potsdamer Bahn
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Schöneberg—Steglitz |
Potsdam—Kirchmöser |
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Kirchmöser—Rbd-Grenze |
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Stettiner Bahn
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Pankow—Rüdnitz |
Pankow—Bernau (S-Bahn) |
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Verbindungsstrecken
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Grunewald—Halensee |
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Wannseebahn
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Wannsee—Potsdam |
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Wetzlarer Bahn
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Wiesenburg—Güterglück |
Güterglück—Dessau |
3. Sicherung einer Zugfahrt durch den Streckenblock Berliner Form
Eine Zugfahrt von Schönholz nach Abzweig Tga auf der S-Bahnstrecke wurde blocktechnisch wie folgt durchgeführt (das linke Bild stellt Schönholz Snt und das rechte Bild die Abzweigstelle Tga dar):
4. Quellen und Links |
[1] Central Intelligence Agency, Signal an Safty Installations in the Berlin Railroad District, Signatur CIA-RDP82-00457R008000190004-3 |
Letzte Bearbeitung: 16. Mai 2019 |