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1. Die Entwicklung bis 1945
Im Jahr 1874 wurde die alte Wannseebahn von Zehlendorf über Wannsee Richtung Potsdam gebaut. Im damaligen Neubabelsberg mündete die Vorortstrecke wieder in die Potsdamer Stammbahn ein. An dieser Stelle nahm am 1. Juni 1874 der Bahnhof Neubabelsberg seinen Betrieb auf. Mit großer Wahrscheinlichkeit war für die aus der Stammbahn abzweigende Vorortstrecke ein Stellwerk in Betrieb. 17 Jahre später im Jahre 1891 wurde die alte Wannseebahn mit der neuen Wannseebahn zu einer Vorortstrecke von Berliner Potsdamer Bahnhof bis Potsdam ausgebaut. Die Strecke war von Neubabelsberg bis Potsdam viergleisig. Der ausgebaute Bahnhof Neubabelsberg verfügte über 9 Weichen[1]. Mit dem Ausbau des Bahnhofs dürfte auch das Stellwerk Nbg (Neubabelsberg) in Betrieb gegangen sein. Das Stellwerk bediente den Güterbahnhof und Vorortverkehr. Ob es auch für die Stammbahnstrecke als Blockstelle zuständig war, muss offenbleiben, ist aber anzunehmen.
1909 erfolgte die Anbindung der Stammbahnstrecke an die Wetzlarer Bahn. Von Neubabelsberg aus führte eine eingleisige Strecke zum neuen Stellwerk Not (Neubabelsberg Ostturm), das spätere Stellwerk Khb (Kohlhasenbrück). Der Fahrdienstleiter Nbg war seit dem für den Fern- und Vorortverkehr zuständig. Die Bedienung des Güterbahnhofs erfolgte von Wannsee aus. In Wannsee konnten die Güterzüge direkt aus dem Güterbahnhof in die Vorortstrecke in Richtung Potsdam einfahren. Von Potsdam war die Einfahrt in den Güterbahnhof Neubabelsberg nicht möglich. Ab dem 11. Juni 1928 stellte der Fahrdienstleiter Nbg die Signale für die neuen elektrischen Züge – die ab 1930 so bezeichnete S-Bahn – auf Fahrt.
Am 1. April 1938 erfolgte die erste Umbenennung des Bahnhofs in Babelsberg-Ufastadt. Das Stellwerk Nbg erhielt die neue telegraphische Bezeichnung Bbu (für Babelsberg-Ufastadt) und das Stellwerk Not hieß fortan Bot (für Babelsberg Ostturm). Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 verlor der Bahnhof Babelsberg-Ufastadt ein Teil seiner Infrastruktur. Die Stammbahn fiel den Reparationsforderungen der Sowjetunion zum Opfer und wurde in der Folgezeit nicht wieder aufgebaut. Auch die S-Bahn war von den Demontagen betroffen und verlor von Wannsee bis Potsdam beide Gleise.[2]
1.1. Exkurs: Der Bahnhof Griebnitzsee
Am 1. Juni 1874 nahm die Station Neubabelsberg ihren Betrieb an der „Alten Wannseebahn" auf. Sie diente der Erschließung der Villenkolonie Neubabelsberg. Wie es sich für eine aufstrebende Villenkolonie gehört, erhielt der Bahnhof Neubabelsberg den Deutschen Pavillon von der Wiener Weltausstellung vermacht. 1891 erfolgte die Trennung zwischen Fern- und Vorortgleisen, der Bahnhof wurde auf drei Bahnsteig erweitert. Ab dem 11. Juni 1928 tauchten in Neubabelsberg erstmals die rot/gelben Züge auf, die heute als S-Bahn weithin bekannt sind. Ein Gleichrichterwerk am Bahnhof Neubabelsberg sorgte für die reibungslose Stromversorgung der neuen Triebzüge. Drei Jahre später mußte der Holzpavillon nach fast 60 Jahren den neuen Zeitgeschmack weichen. Günter Lüttich entwarf das noch heute bestehende Empfangsgebäude. Der 1. April 1938 hatte auch der altehrwürdige Name Neubabelsberg ausgedient. Entsprechend dem neuen Zeitgeschmack der damaligen Beherrscher des sogenannten „1000 jährigen Reiches" hieß der Bahnhof nun Babelsberg-Ufastadt. Von 1945 bis 1946 machte der Bahnhof kriegsbedingt eine Pause. Drei Jahre später, exakt 11 Jahre nach der Umbenunng in Babelsberg-Ufastadt, verlor der Bahnhof diesen an die alte Zeit erinnernden Namen. Fortan hieß er und heißt bis heute Griebnitzsee. Ab 1961 war für 31 Jahre Schluss mit S-Bahn-Fahren ab Griebnitzsee. Der Bahnhof wurde zum Hochsicherheitstrakt umgebaut um als Kontrollbahnhof für die Transitzüge von und nach West-Berlin bzw. Bundesrepublik Deutschland zu fungieren. Aber auch diese Zeit ging vorbei. Nach dem friedlichen Abgang der DDR war der Bahnhof seit 1990 wieder für die Allgemeinheit geöffnet. Zwei Jahre später, am 1. April 1992, hielten die bekannten rot/gelben Züge der Berliner S-Bahn wieder am Bahnhof Griebnitzsee. Im Gleichrichterwerk Griebnitzsee kann sich jeder S-Bahn-Interessierte die Geschichte dieses Verkehrsmittel im S-Bahn-Museum Griebnitzsee ansehen.
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2. Die Entwicklung nach 1945
Vom 17. Juli bis 2. August 1945 fand im Schloß Cäcilienhof die Potsdamer Konferenz der Siegermächte statt. Der sowjetische Diktatur Stalin konnte aus gesundheitlichen Gründen nur auf dem Landweg anreisen. Damit Stalins Zug bis Potsdam fahren konnte, wurde vom Schlesischen Bahnhof bis Potsdam Stadt ein Gleis auf 1524 mm Breitspur umgenagelt.[3] Es ist davon auszugehen, dass die Sicherungsanlagen des Stellwerks Bbu (Weichen, Riegel) für diesen kurzen Zeitraum angepasst werden mussten. Nach der Abreise Stalins stellte man den Ausgangszustand wieder her. Der Wiederaufbau der S-Bahn zwischen Wannsee und Potsdam verzögerte sich noch bis 1946. Das Kreuzungsgleis in Babelsberg Ufastadt nahm am 12. Mai 1946 seinen Betrieb auf. Wegen der zerstörten Teltowkanalbrücke beschränkte sich der Betrieb zwischen dem provisorischen Haltepunkt Kohlhasenbrück (Süd) und Potsdam. Erst am 16. Januar 1949 konnte der traditionsreiche Zuglauf Erkner—Potsdam wieder aufgenommen werden.[4] Zwischen Wannsee und Babelsberg-Ufastadt sicherte die Blockform Berliner Form die eingleisige Strecke.
Der nächste Umbau der Sicherungsanlagen des Stellwerks Bbu erfolgte 1947. Als Folge der nachkriegsbedingten Betriebseinstellung auf der Potsdamer Stammbahn musste der gesamte Verkehr aus Richtung Magdeburg/Potsdam nach Wannsee abgeleitet werden. Zur Verbesserung der Betriebsverhältnisse wurde die eingleisige Verbindungskurve nach Wannsee über die Abzweigstelle Bot bis November 1947 zweigleisig ausgebaut.[5] Der Felderblock für die zweigleisige Strecke löste den Streckenblock Form A ab.
Ab dem 1. April 1949 mussten sich die Fahrdienstleiter von Bbu und Bot wieder an neue telegraphische Bezeichnungen gewöhnen: Gbs für Griebnitzsee. Und Khb für Kohlhasenbrück Das „Hauptreferat Nachwuchs und Demokratisierung der Deutschen Wirtschaftskommission“ beschwerte sich im Dezember 1948 über den Bahnhofsnamen Babelsberg Ufastadt. Die UFA sei ein Propagandainstrument der Nazis gewesen. Der Name sei drei Jahre nach dem Zusammenbruch nicht mehr vermittlungsfähig. Die Potsdamer Stadtverordneten stimmten dem Namensvorschlag „Griebnitzsee“ zu. War es Zufall oder bewusst gewollt, dass die Umbenennung auf den Tag exakt 11 Jahre nach der Umbenennung in Babelsberg Ufastadt erfolgte?[6] Das Stellwerk Khb bediente den Bahnübergang Königsweg mit. Es war mit einem Fahrdienstleiter und Schrankenwärter besetzt. Ein Zeitzeuge erzählte mir eine Anekdote, wie sie typischer für die damaligen Verhältnisse nicht sein konnte: Das Stellwerk Khb stand genau mittig auf der Grenzlinie zwischen Ost und West. Je nach politischer Überzeugung nahm man auf der West- oder Ostseite im Stellwerk platz. Das ergab je nach Schicht ein häufiges Tisch- und Stühlerücken. Heute lachte man darüber, damals war es eine ernste Angelegenheit.
Am 1. August 1949 übernahmen Jugendliche der FDJ-Gruppe der Deutschen Reichsbahn die Dienstausübung auf dem Bahnhof Griebnitzsee. Ein Fotograf der ADN (Allgemeine Deutsche Nachrichtenagentur) Namens Igel dokumentierte diese Aktion. Unter anderen ist ein Teil der Hebelbank vom Stellwerk Gbs zu sehen. Vermutlich war das nur eine Propagandaaktion, um offentlichkeitswirksam die Überlegenheit des Sozialismus zu propagieren. Oder haben diese Jugendlichen tatsächlich vollverantwortlich (z.B. als Fahrdienstleiter) auf dem Bahnhof Griebnitzsee gearbeitet? Die DDR warf den Westen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen vor. Sie selbst hat das gleiche als Aufbau für den Sozialismus etikettiert.
3. Sicherungstechnik sichert die Grenze – das Stellwerk Gbs ab 1961
Nach der Grenzschließung am 13. August 1961 beschloss man den Ausbau des Bahnhofs Griebnitzsees zum Kontrollbahnhof für die Interzonenzüge von und nach West-Berlin. Für den Ausbau mussten die Planer Kompromisse eingehen. Das Stellwerk Gbs war das Zentralstellwerk des Bahnhofs, die Stellreichweite des mechanischen Stellwerks nicht unendlich ausdehnbar. Die Einfahrvorsignale erhielten wegen der Entfernung elektrische Antriebe. Das Hebelwerk reichte nicht mehr aus und musste ausgetauscht werden. Ob es sich um ein Hebelwerk der Einheitsbauform oder Jüdel handelte, muss offen bleiben. Die Maßgabe war – insbesondere nach der erfolgreichen Flucht von Harry Deterling am 5. Dezember 1961 in Albrechtshof – gewaltsame Durchfahrten zu verhindern.
Am 10. Dezember stellte die Abzweigstelle Khb ihren Betrieb ein. Das Stellwerk stand direkt im Grenzgebiet auf DDR-Seite, die Weichen befanden sich auf West-Berliner Seite. Dieser Zustand widersprach den Sicherheitsbedürfnissen der DDR. Aus der zweigleisigen Strecke Wannsee—Griebnitzsee mit Abzweig auf die eingleisige Strecke nach Drewitz wurden zwei eingleisige Strecken, jeweils von Wannsee nach Griebnitzsee und Wannsee nach Drewitz.
Wie wurde der Zugverkehr aus sicherungstechnischer Sicht durch den Fahrdienstleiter Gbs durchgeführt? Die Dienstanweisung Nr. 1/66 (Durchführung des Zugverkehrs zwischen der DDR und Westberlin auf dem Bahnhof Griebnitzsee) sagt dazu folgendes aus:
„…C. Besetzung und Zutritt1. Auf dem Bf Griebnitzsee sind folgende Dienstposten der DR im Vierbrigadeplan besetzt: … .… 5. Die Db-Züge und Dgb-Züge Richtung Potsdam Stadt—Wannsee und umgekehrt werden auf dem Bahnhof Griebnitzsee nicht kontrolliert und fahren über Gleis 1 durch. Zuvor muß der Fdl die Zustimmung des Sicherungspostens der NVA Grenze einholen und sich die erforderlichen Schlüssel der Hebelschaftschlösser der Weichen 15 und 21 aushändigen lassen. Nach Durchfahrt des Zuges durch Gleis 1 ist die Weiche 21 aus technischen Gründen unbedingt in die Plusstellung zu bringen.[7]
a) Aufsicht
b) Fahrdienstleiter
c) Stellwerksmeister (in der Zeit von 6.00 - 13.30 Uhr)
Die Beschäftigten des Bahnhofs benötigen für das Betreten des Grenzgebietes einen Grenzausweis und einen besonderen Ausweis für das Betreten des Kontroll-Passier-Punktes-Bahnhof Griebnitzsee.
E. Durchführung der Zugfahrten innerhalb des Bahnhofs Griebnitzsee
1. Ein Angehöriger der NVA Grenze hat im Dienstraum des Fahrdienstleiters seinen Sitz. Dieser Genosse gibt die Zustimmung für die Ein-, Aus- und Durchfahrt und Durchführung aller Züge einschl. Dstp und Loks. Der Fdl darf die entsprechenden Handlungen erst durchführen, wenn die Zustimmung durch den Genossen der NVA Grenze erteilt ist. Zur Sicherung in Richtung Berlin sind die Weichenhebel der Weichen 2, 6, I5 und 21 mit Hebelschaftschlössern versehen.
Diese Weichen sind in der Grundstellung wie folgt verschlossen:
Weiche 2 zum Prellbock in Plusstellung
Weiche 6 c/d " " in Plusstellung
Weiche 15 c/d " " in Minusstellung
Weiche 21 " " in Plusstellung
Ist ein Verschließen der Weiche 21 in Plusstellung nicht möglich, so sind dafür die Weichen 2 und 6 c/d in Plusstellung sowie die Weiche I5 c/d in Minusstellung zu verschließen. Die Schlüssel aus den Hebelschaftschlössern dieser Weichen befinden sich wenn diese in der Grundstellung verschlossen sind, bei dem Genossen der NVA Grenze, der diese Schlüssel auf Anforderung des Fdl an diesen übergibt, die genehmigten Zugfahrten, die über diese Weichen führen, zu ermöglichen. Nach Durchführung der Zugfahrten sind diese Weichen sofort in die vorstehend aufgeführte Grundstellung zurückzulegen, zu verschließen und die Schlüssel aus den Hebelschaftschlössern sind dem Genossen der NVA Grenze sofort wieder zu übergeben
3. Die Züge DDR— Westberlin werden nach den Gleisen 2 und 4 zur Kontrolle eingefahren Nach der Kontrolle durch die Kontrollorgane meldet der verantwortliche Kontrolleur PKE den Zug an die NVA Grenze fertig Die NVA Grenze meldet die Beendigung der Kontrolle an den Stellwerksposten der NVA Grenze weiter. Dieser Stellwerksposten übergibt dann die Schlüssel der Hebelschaftschlösser für die Weichen 2 und 21 dem Fdl. Erst dann kann der Fdl die Fahrstraße einstellen und das Signal auf Fahrt bringen. Danach erteilt die Aufsicht den Abfahrauftrag.
4. Die Züge Westberlin—DDR werden nach den Gleisen 3 und 5 zur Kontrolle eingefahren. Nach der Kontrolle meldet der verantwortliche Kontrolleur PKE den Zug an die Aufsicht fertig Das Ausfahrsignal Richtung DDR kann nach Ermessen des Fahrdienstleiters auf Fahrt gestellt werden.
Halten wir fest: Auf dem Stellwerk Gbs saß rund um die Uhr ein Stellwerksposten der Grenztruppen mit vier Schlüsseln in Verwahrung. Nach Freigabe des kontrollierten Zuges musste der Fahrdienstleiter die jeweiligen Weichenhebel erst einmal freischließen, um alle weitere Bedienhandlungen durchzuführen. Nach der Ausfahrt des Zuges lief die gesamte Prozedur in umgekehrter Reihenfolge ab. Ein flüssiger Betriebsablauf sieht anders aus. Aber darauf kam es nicht an, das „Sicherheitsbedürfnis“ der DDR hatte Vorrang. Sehen wir uns die Gleisanlagen des Bahnhofs Griebnitzsee Stand 1967 einmal genauer an: Auf östlicher Seite Richtung Berlin-Wannsee war die Absicherung am stärksten ausgeprägt. Aus den Gleisen 2 und 4 wäre ein durchbrechender Zug unweigerlich auf das Stumpfgleis geleitet worden. Außerdem sicherten zwei Gleissperren die beiden Bahnhofsgleise ab. Normalerweise verbieten die Vorschriften der DR das Einbauen von Gleissperren in Hauptgleisen. Durch eine Sondergenehmigung des Ministers des Verkehrswesens durfte in Ausnahmefällen abgewichen werden. Die Weiche 23 verhinderte ungewollte Durchfahrten aus Gleis 1 und den Gleisen 3 und 4. Die Krönung der „Sicherheit“ war die Weiche 21. Diese Weiche verhinderte in der verschlossenen Plusstellung alle Fahrten in das Streckengleis nach Wannsee. Deswegen war die Weiche 21 unter Verschluss der Grenztruppen. In Richtung Potsdam war die Absicherung einfacher. Hinter der DKW 16 begann ein kurzes Gleis mit Gleisabschluss. Die Weiche 15 c/d war in Minusstellung unter Verschluss der Grenztruppen. In dieser Lage wären alle Fahrten von Gleis 1 in Richtung Gleisabschluss geleitet worden.
Seit 1966 war ein Zusatzhebelwerk der Bauform VES 1912 in Betrieb. Das bisherige mechanische Hebelwerk stieß wegen den fortlaufenden Umbauforderungen der NVA-Grenze zu mehr „Sicherheit“ an seine Kapazitätsgrenze. Diese komplizierte Mischund aus mechanischer und elektromechanischer Sicherungstechnik ließ „selbst qualifizierte Fahrdienstleiter bei Störungen der komplizierten Anlage zu Unsicherheiten neigen und die erlassene Dienstanweisung Nr 81/66 nur von wenigen Eisenbahnern verstanden wird.“[8] Die Dienstanweisung Nr. 81/66 beinhaltete die Inbetriebnahme des Zusatzhebelwerks.
Wenn man das oben genannte verinnerlicht, müsste man rein nach der Logik die Maßnahmen zur Sicherung der Staatsgrenze auf dem Schienenwege für absolut ausreichend erachten. Weit gefehlt. Es ging noch besser. Die „Grundsätze über besondere Maßnahmen auf Grenzbahnhöfen, erstmals am 1. Juli 1966 herausgegeben, legten folgendes fest (Zitate auszugsweise):
…
3.2 Die Fahrstraßen für die Einfahrt in den Grenzbahnhof aus Richtung DDR sind durch eine besondere sicherungstechnische Schaltung verzögert aufzulösen…Die Verzögerungszeit ist in Übereinstimmung mit dem Kommandanten des Grenzbahnhofes festzulegen.
…
4.6 Die Einstellung einer Fahrstraße zur Ausfahrt in Richtung Staatsgrenze ist von einer technisch z u realisierenden Zustimmung des DHO (Diensthabener Offizier, Anmerkung Autor) der Grenztruppen der DDR abhängig zu machen. Diese Zustimmung muß gleisbezogen sein und darf nur für dieses Gleis wirksam sein. Die Zustimmungsanforderung erfolgt ebenfalls gleisbezogen durch den Fahrdienstleiter. Die Zustimmungsanforderung ist grundsätzlich technisch zu realisieren.
…
4.8 Die Auflösung einer Fahrstraße zur Ausfahrt in Richtung Staatsgrenze ist von der vorherigen Rückstellung der Ausfahrschutzweichen in die Grundstellung abhängig zu machen. Nach Auflösung der Fahrstraße müssen die Ausfahrschutzweichen wieder verschlossen sein. Die besondere Zustimmung durch den DHO der Grenztruppen der DDR muß unwirksam sein.
…
6.1.2. Solange eine Fahrstraße zur Ausfahrt in Richtung Staatsgrenze eingestellt ist, sind Fahrten in dieses Gleis durch abweisende Stellung aller in dieses Gleis weisenden Weichen zwangsläufig zu verhindern. Können die vorhandenen Weichen nicht verwendet werden, sind besondere Schutz- oder Entgleisungsweichen einzubauen.[9]
Diese Forderungen realisierte man über Teilfahrstraßen. Nach Zustimmungsempfang für die Teilfahrstraße stellte der Fahrdienstleiter die Schutzweichen in die entsprechende Lage und legte diese Teilfahrstraße elektrisch fest. Dadurch wurde die Zustimmungsabgabe für die Ausfahrstraße frei, der Fahrdienstleiter konnte die Ausfahrt auf Fahrt stellen. Nach der Ausfahrt erfolgte eine Auflösung der Teilfahrstraße. Wenn der Fahrstraßenhebel der Teilfahrstraße sich in Grundstellung befand, löste die Ausfahrstraße auf. Können Sie sich jetzt vorstellen, warum einige Eisenbahner bei dieser komplizierten Bedienungsweise den Durchblick verloren haben, besonders bei Streßsituationen?
Wie oben erwähnt, fuhren die Militärzüge der drei westlichen Alliierten in Griebnitzsee ohne Halt über Gleis 1 durch. In Richtung DDR gab es keine besonderen Abhängigkeiten. In Richtung West-Berlin sah das anders aus. In Potsdam Stadt konnte eines der Ausfahrsignale für die Gleise 3 und 75 (Kontrollgleise) erst auf Fahrt gestellt werden, wenn in Griebnitzsee die Durchfahrt eingestellt war. Das bedeutet, dass zwischen Potsdam und Wannsee die gesamte Strecke frei sein musste, bevor ein Militärzug fahren konnte. Für die „Sicherheit“ wurden keine Kosten und kein Aufwand gescheut. Da blieb auch mal die Leistungsfähigkeit der Strecke auf der sprichwörtlichen Strecke.
Damit ein nach West-Berlin ausfahrender Zug im Grenzstreckenabschnitt noch zum Halten gebracht werden konnte, existierte ein sog. Y-Signal. Dieses Signal zeigte im Regelfall ein weißes Kennlicht für betrieblich ausgeschaltet. Bei Erfordernis konnten die Grenztruppen der DDR das Signal Hp0 schalten und hoffen, dass der Triebfahrzeugführer den Haltebefehl nach kam. Aus ökonomischen Gründen fehlte an den Y-Signalen die Zugbeeinflussung. 1980 wurden auf Anweisung des Ministeriums für Verkehrswesen der DDR die Y-Signale abgebaut. Den Grenztruppen war das gar nicht recht, wie ein Schriftverkehr des MfS belegt. Als Gründe für den Abbau wurden genannt:
- die Signale entspricht nicht der gebräuchlichen internationalen Signalgebung; die Anlagen sind technisch veraltet, der Neuaufbau ist ökonomisch nicht vertretbar;
- die Grenztruppen der DDR sichern den Grenzstreckenabschnitt durch Posten, die durch entsprechende Signalgebung mit dem Arm bzw. rotem Licht die Triebfahrzeugführer zum Halten auffordern können;
- BRD- Triebfahrzeugführer würden auf die Y-Signale bzw. auf Handzeichen sowieso nicht reagieren.[10]
Aber auch der Fahrdienstleiter Ws konnte nicht so einfach Züge in Richtung Gbs fahren lassen. Neben der vorhandenen Erlaubnis für die Fahrt auf die eingleisige Strecke musste eine Zustimmung vom Fahrdienstleiter Gbs in Ws vorhanden sein, die das jeweilige Signal frei gab. Näheres im Beitrag zum Stellwerk Ws.
4. Die Bundesrepublik Deutschland zahlt den Ausbau des Bahnhofs Griebnitzsee – die Entwicklung ab 1983
Im April 1980 beschlossen die beiden deutschen Staaten den Verkehr Bundesrepublik Deutschland—West-Berlin zu verbessern. Zwischen 1981 und 1984 bewilligte die Bundesregierung insgesamt 507 Millionen DM für die Verbesserung der Infrastruktur. Davon entfielen auf den Schienenverkehr 89 Millionen DM. Die eingleisige Verbindung von Werder nach Wannsee sollte durch eine zweigleisige Strecke ersetzt werden, damit die Durchlassfähigkeit erhöht werden konnte. Allein für die Herstellung der Zweigleisigkeit zwischen dem Bahnhof Griebnitzsee und der Grenze zu West-Berlin zahlte der Bund sieben Millionen DM.[11] Der Umbau ergab folgende sicherungstechnische Veränderungen:
- Das bisherige Stellwerk Gbs mit seinem komplizierten Mix aus mechanischer und elektromechanischer Sicherungstechnik wurde durch ein elektromechanisches Stellwerk der Bauform E12/78 mit Gleisbesetzungstafel der Bauform WSSB ersetzt.
- Lichthauptsignale ersetzten die bisherigen Formhauptsignale.
- Der Führungspunkt der Grenztruppen der DDR auf Bahnsteig B erhielt ein WSSB-Pult für die Zustimmungsabgaben.
- Anbindung der Strecke Wannsee—Drewitz an die neue zweigleisige Strecke Wannsee—Griebnitzsee durch die neue von Gbs ferngesteuerte Abzweigstelle Griebnitzsee Ost (Gbo).
Am 28. November 1983 nahm das umgebaute Stellwerk Gbs seinen Betrieb auf. Zwischen Wannsee und Griebnitzsee sicherte der Streckenblock der Bauform AB 70 die Zugfahrten. Die zweigleisige Stecke war mit einem Erlaubniswechsel für das Fahren auf dem Gegengleis eingerichtet. Die Erlaubnis der Regelrichtung war nicht in Wannsee, sondern in Griebnitzsee. Die Erlaubnis wurde explizit für die vereinbarte Fahrt nach Wannsee gewechselt. Nach der Rückblockung des Zuges wechselte die Erlaubnis automatisch wieder zurück nach Griebnitzsee.
Von den neuen Fahrmöglichkeiten, die die neue Abzweigstelle Gbo bot, konnte im Frühjahr 1984 schon keinen Gebrauch mehr gemacht werden. Die Berliner Verkehrsblätter beschrieben, warum das so war:
„Die neueingerichtete Gleisverbindung zwischen den beiden Streckengleisen der Wetzlarer Bahn an der Abzweigstelle Griebnitzsee Ost (Gbo) in Kohlhasenbrück (Strecken Wannsee—Gbo—Griebnitzsee und Wannsee—Gbo—Drewitz) ist wieder außer Betrieb. Da die beiden Weichen kurz vor der Stadtgrenze in West-Berlin liegen, das bedienende Stellwerk sich aber in der DDR befindet, könnte das Stellwerkspersonal die Weichen in Falle einer Störung nicht erreichen. Nunmehr müssen die Züge nach Drewitz bis Gbo wieder das in Fahrtrichtung linke Streckengleis benutzen. Auf der Strecke Wannsee—Gbo—Griebnitzsee besteht Gleiswechselbetrieb.“[12]
Das klingt irgendwie nach einem Schildbürgerstreich. Die Verantwortlichen vom Planer bis zu den Grenztruppen wussten doch vorher, dass die Weichen in West-Berlin liegen und der DDR-Fahrdienstleiter im Störungsfall nicht einfach zu den Weichen spazieren konnte. Oder wer hat da geschlafen?
Nach dem Fall der Mauer wurde noch bis zur Währungsunion am 1. Juli 1990 kontrolliert, wenn auch zunehmend nachlassender. Mit dem Wiederaufbau der S-Bahn nach Potsdam verschwanden sämtliche grenzspezifischen Sicherungsanlagen. Der Bahnhof Griebnitzsee war wieder ein normaler Bahnhof mit normalen fahrdienstlichen Aufgabenstellungen. Der Fahrdienstleiter Gbs konnte ab dem 1. April 1992 für etwas über ein Jahr noch die Signale für die S-Bahn bedienen. Danach übernahm das ESTW Wannsee am 13. Juni 1993 die betrieblichen Aufgaben des Stellwerks Gbs. Das Stellwerksgebäude wurde bald nach der Außerbetriebnahme abgerissen.
Die nachfolgenden Aufnahmen sind die einzigen Innenansichten des Stellwerks Gbs nach dem Umbau zu einem gewöhnlichen Bahnhof. Das fotografieren war auf einem Grenzbahnhof natürlich streng verboten und dadurch mit hohen Risiken für den Beschäftigten verbunden. Im Jahre 1992 brauchte der Fotograf Herr Ebert keine Angst mehr zu haben, etwas verbotenes zu tun.
5. Quellen und weitere Links |
[1] Bley, Peter: 175 Jahre Eisenbahn Berlin—Potsdam, Verlag Neddermeyer 2013, Seite 98 [2] Ebd, Seite 158 [3] Ebd, Seite 160 [4] Ebd, Seite 164 [5] Ebd, Seite 164 [6] Ebd, Seite 165 [7] Bock, Peter: Interzonenzüge, Eisenbahnverkehr im geteilten Deutschland, Verlag Geramond 1998, Seiten 154-159 [8] Ebd, Seite 204 [9] Kuhlmann, Bernd: Deutsch-deutsche Grenzbahnhöfe, Verlag Geramond 2005, Seite 50 bis 52 [10] Y-Signale im Grenzstreckenabschnitt der Grenzübergangsstellen, BStU, MfS, HA VI, Nr. 139 [11] Die Bundesbahn 6/1980, Seiten 429 bis 430 [12] Berliner Verkehrsblätter 3/84, Kurzmeldungen Seite 69 |
Zeitzeugenaussagen |
Veröffentlicht am 3. Juni 2015. Letzte Bearbeitung am 5. Juni 2015 |