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Inbetriebnahme: Erstes Stellwerk spätestens 1. Mai 1894; Nachfolger spätestens 4. Dezember 1929 |
Nachbarbetriebsstellen: Füb, Beu, Mwt, Wmt, Gtf |
Außerbetriebnahme: 1928 bzw. 28. September 1980 |
Architekt: Hans Hertlein beim zweiten Stellwerk |
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Rückbau des Stellwerks 1997 | Telegraphische Abkürzung: Jun für Jungfernheide |
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Lage im Streckennetz: Kilometer 34,5 der Strecke Gesundbrunnen—Westend sowie Kilometer 0,0 der Strecke Jungfernheide—Gartenfeld | ||
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Bauform: VES 1912 Farbscheibenüberwachung |
Die VES fertigten das neue Hebelwerk |
Felderblock Fernbahn, Selbsttätiger Streckenblock auf der S-Bahn |
Bis 1938 Formhauptsignale auf dem Nordring, danach Sv-Signale |
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Mit Stand 1928 setzte sich das Hebelwerk aus 10 Fahrstraßensignal- und 13 Weichenhebeln sowie 1 Umleithebel zusammen | ||
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Ende der 1970er Jahre fotografierte Norbert Dembek eine Zugkreuzung mit zwei Peenemünder Viertelzügen in Jungfernheide. Foto Norbert Dembek.
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1. Ein neues Stellwerk extra für die Siemensbahn
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Die Geschichte der Sicherungstechnik in Jungfernheide (bis zum 3 1.Dezember 1903 Jungfernhaide genannt) begann 1894. Bedingt durch den Umbau des Bahnhofs Moabit entfielen die Weichenverbindungen zwischen der Hamburg- und Lehrter Bahn und dem Nordring. Diese waren nötig für die Züge der Berufspendler, die vom Nordring kommend nach Spandau fuhren. Als Ersatz waren diese Verbindungen am Bahnhof Jungfernhaide vorgesehen. Am 1. Mai 1894 ging die Weichenverbindung vom Nordring zur Lehrter Bahn in Betrieb und spätestens zu diesem Zeitpunkt auch das erste Stellwerk Jun. Es waren vier einfache Weichen und das Stellwerk Jun war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein mechanisches Stellwerk mit unbekannter Bauform.
Über 30 Jahre später änderte sich die Situation in Jungfernheide gravierend. Mit dem Bau der neuen Stichstrecke nach Gartenfeld erfolgten umfangreiche Umbauten auf dem Bahnhof Jungfernheide. Das bisherige Stellwerk Jun stand dem neuen Ausfahrgleis im Wege und musste deshalb beseitigt werden. Als Ersatz wurde auf dem Vorortbahnsteig A ein neues Stielstellwerk durch den Hausarchitekten von Siemens, Hans Hertlein, in Form der Anklänge der Neuen Sachlichkeit errichtet. Die sicherungstechnische Ausstattung lieferte die Signalbausparte von Siemens, die VES.
Bei dem Bau der Siemensbahn kam die damals modernste Sicherungstechnik in Form von Sv-Signalen zur Anwendung. Ausgenommen war davon der Bahnhof Jungfernheide, dort blieben vorerst die Formhauptsignale bestehen. Bei der Planung der neuen Infrastruktur sollte die o.a. Weichenverbindung vom Ring zur Lehrter Bahn entfallen, weil dafür das Verkehrsbedürfnis seit 1911 entfallen ist. Die Entscheidung der RBD Berlin missfiel dem Militär. Mit Schreiben vom 1. August 1927 wandte sich ein Transportoffizier 3. Division an den Bahnbevollmächtigten der RBD und sprach sich für den Erhalt dieser Weichenverbindung aus. Wörtlich heißt es „…so muss auf ihre Erhaltung großer Wert gelegt werden, da sie unter gewissen Verhältnissen als der einzige direkte Nachschubweg von Spandau sehr notwendig gebraucht werden wird.“[1] Die „gewissen Verhältnisse“ sind eine sehr diplomatische Umschreibung für den Krieg. Und ein Beispiel für den destruktiven Einfluss des Militärs. Die RBD Berlin revidierte daraufhin ihre Entscheidung und baute die Weichenverbindung östlich des neuen Bahnsteigs C ein und integrierte sie in die Sicherungstechnik des neuen Stellwerks Jun.
Das Stellwerk Jun nahm spätestens am 4. Dezember 1929 seinen Betrieb auf. Nach[2] erfolgten vor der Inbetriebnahme der Siemensbahn am Mittwoch, den 18. Dezember 1929 zweiwöchige Probefahrten auf der neuen Strecke für die nötige Streckenkenntnis.
Die Sicherungstechnik befand sich auf den damals modernsten Stand für einen 150 Sekunden Zugabstand. Und zwar waren dies:
- zweischienige Isolierung des Gleises mit Drosselstößen;
- dreibegriffige Lichtsignale;
- Ad-Signale an allen Einfahrsignalen;
- Gefahrsignalschaltung;
- Fahrsperre
Das Ad-Signal ist das spätere Ersatzsignal.
Obwohl auf der Siemensbahn die neue Signaltechnik in Form von Lichttagessignalen zum Einsatz kam, blieb der Bahnhof Jungfernheide davon ausgenommen. Das Einfahrsignal B von Wernerwerk war zwar noch ein Sv-Signal, das Ausfahrsignal G am Bahnsteig B jedoch ein Formhauptsignal.
2. Die mutmaßlich kürzeste Zugfahrt Berlins
Eine Besonderheit war die vielleicht kürzeste Zugfahrt Berlins. Die Züge der Siemensbahn kehrten im Bahnhof Jungfernheide nicht in einer sich außerhalb des Bahnsteigs befindlichen Wendeanlage, sondern am neu errichteten Bahnsteig C. Am Bahnsteig B konnten die Fahrgäste die Züge nach Gesundbrunnen ohne Bahnsteigwechsel erreichen, am Bahnsteig C die Züge nach Westend. Ein Zug, der von Gartenfeld in Jungfernheide nach Gleis 3 am Bahnsteig B einfuhr, setzte seine Fahrt zum Bahnsteig C Gleis 2 als Zugfahrt fort. Bahnsteig C war der Anfangsbahnhof für die Fahrten nach Gartenfeld. Die Länge der Zugfahrt waren rund 280 m. Nach den damaligen Regelwerken waren Rangierfahrten mit besetzen Fahrzeugen nicht zulässig. Das änderte sich aber am 3. November 1932. Von diesem Datum ab setzten die Züge ihre Fahrt als Rangierfahrt von Gleis 3 nach Gleis 2 fort. 1938 lösten die Sv-Signale auf dem Nordring – und damit auch auf dem Bahnhof Jungfernheide – die Formhauptsignale ab. Es muss offen bleiben, ob seit dieser Umstellung die Fahrten von Gleis 3 nach Gleis 2 wieder als Zugfahrten durchgeführt wurden. Auf dem mir vorliegenden Lage- und Verschlußplan von 1956 wurden die Fahrten wieder als Zugfahrten durchgeführt. Die Fahrt erfolgte auf Signal Sv 2.
Zur Zeit der Inbetriebnahme der Siemensbahn galt noch die Wegesignalisierung der Preußisch-Hessischen Staatsbahnen von 1892, die erst mit der Änderung der Signalordnung vom 17. Februar 1930 zum 1. Oktober 1930 aufgehoben wurde. Die Anzahl der aufgezogenen Flügel bildeten die entsprechenden Fahrwege ab, die aber nicht zwingend durch den geraden Strang einer Weiche verliefen. Ein Beispiel sind die Ausfahrsignale F und G. Bei der Ausfahrt F1 aus Gleis 4 nach Beusselstraße verlief der Fahrweg im geraden Strang über die Weichen 4 und 5. Bei der Ausfahrt G1 aus Gleis 3 nach Beusselstraße verlief der Fahrweg über die Weichen 3 und 5 im abzweigenden Strang. Beide Gleise waren für diese Fahrten als durchgehende Hauptgleise definiert. Nach der Signalordnung von 1907 bedeutete das Signal 8a (ab 1935 Signal Hp1) Fahrt frei für das durchgehende Gleis. Ein bzw. der oberste Flügel zeigte schräg rechts aufwärts. Mit der Änderung der Signalordnung 1930 zeigte das Signal 8b (ab 1935 Signal Hp1) zwei Flügel schräg rechts aufwärts, die eine Geschwindigkeitsbeschränkung vorsahen. Nach dieser Logik erfolgten nun die Ausfahrten aus Gleis 3 nach Beusselstraße auf Signal 8b mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h. Aber die Fahrt von Gleis 3 nach Gleis 2 ins Stumpfgleis hätte ebenfalls diesen Fahrtbegriff bedingt. Da der komplette Umbau der sicherungstechnischen Infrastruktur wahrscheinlich zu kostenaufwändig war, ist hier möglicherweise der Grund für die Rangierfahrt von Gleis 3 nach Gleis 2 zu sehen.
Eine weitere Besonderheit waren die GÜ-Fahrsperren (GÜ= Geschwindigkeitsüberwachung) an den Gleisen 1,3 und 4, Wegen nichtausreichender Längen der Durchrutschwege erzwangen die GÜ-Fahrsperren eine Einfahrt mit 30 km/h.
Mit der Einführung der Selbstblocktechnik auf der Berliner Stadtbahn 1928 hielt eine neue Vereinfachung für die Fahrdienstleiter Einzug: der Umleithebel. Der Verkehr auf der Berliner S-Bahn ist außerhalb von Aussetz- und anderen Rangierfahrten starr, er folgt einen Taktfahrplan. Um das Personal zu entlasten, konnten die entsprechenden Ein- und Ausfahrsignale in selbsttätige Signale umgeschaltet werden. Solange sich der bei elektromechanischen Stellwerken der Bauform VES 1912 gelbe Umleithebel in der umgelegten Stellung befand, stellten sich die Züge die Ein- und Ausfahrten selbsttätig. In Jungfernheide betraf dies nur die Fahrten von Westend nach Beusselstraße aus Gleis 4 auf Signal 134.
3. Von der Umstellung auf Sv-Signale bis zur streikbedingten Betriebseinstellung
1938 war die Zeit der Formhauptsignale auf dem Nordring vorbei. Mit der Umstellung auf Sv-Signale erfolgte ein Umbau des Hebelwerks und der Gleisfreimeldetafel. Das Blockwerk für die Fernbahn wurde niedriger angeordnet, sodass das Personal einen ungehinderten Blick auf die Außenanlage hatte.
Das Kriegsende bedeutete für die Siemensbahn den Verlust des zweiten Gleises bis Siemensstadt und eine zerstörte Spreebrücke. Bis zum Eintreffen der Briten Anfang Juli 1945 verschafften die Sowjets so viel wie möglich an Fabrikausrüstung der Siemenswerke über die eilig errichtete Notbrücke über die Spree. Im Herbst 1945 wurde sogar Güterverkehr über die Siemensbahn abgewickelt. Der S-Bahn-Betrieb wurde in Jungfernheide erst am 5. September 1945 wieder aufgenommen, während die Siemensbahn noch bis zum 17. September 1945 warten musste. Der Betrieb wurde im Stundentakt mittels Pendelbetrieb durchgeführt.
Seit dem 28. August 1951 war die Lehrter Fernbahn in das elektrische Streckennetz einbezogen. Die Deutsche Reichsbahn zog den Fernverkehr aus politischen Gründen aus den Westzonen zurück, die Fernbahnhöfe schlossen 1952. Die S-Bahnzüge erreichten den Bahnsteig A über die seit 1928 bestehende Verbindung von der S- zur Fernbahn, die das Militär gefordert hat. Bedingt durch die nachkriegsbedingte Eingleisigkeit auf der Lehrter Fernbahn kreuzten die Züge jeweils in Jungfernheide und Siemensstadt-Fürstenbrunn. Die Ferngleise der Lehrter Bahn Richtung Moabit wurden demontiert. Auf einen Plan von 1956 waren sie nicht mehr vorhanden.
Eine weitere Änderung der Infrastruktur erfolgte mit dem Bau der U-Bahn-Linie 7. Die Planungen sahen vor, unter dem S-Bahnhof Jungfernheide rechtwinklig einen U-Bahnhof zu errichten. Der Bau dieses U-Bahnhofs wirkte sich massiv auf die Infrastruktur der Deutschen Reichsbahn aus. Die Deutsche Reichsbahn nahm diesen Neubau zum Anlass, die Betriebsanlagen der S-Bahn auf dem Bahnhof Jungfernheide stark zu vereinfachen. Der Bahnsteig C wurde komplett rückgebaut und der Bahnsteig B nach Norden hin verbreitert, sodass er an das Gleis 1 vorrückte. Am 25. April 1975 gingen die Gleise 2 und 3 außer Betrieb. Nachdem das Gleis von Gartenfeld westlich der Spreebrücke an das Ringbahngleis von Westend angeschwenkt wurde, verkehrten alle Züge der Siemensbahn ab dem 26. April 1975 nach Beusselstraße.[3]. Durch den Umbau konnten fünf Weichen rationalisiert werden.
Mitte der 1970er Jahre fertigte der Fahrdienstleiter die Züge auf dem Bahnsteig A mittels Fernbeobachtungsanlage (FBA) ab. Dadurch konnte die Aufsicht eingespart werden. Seit wann der Fahrdienstleiter mittels der FBA die Aufgaben der Aufsicht wahrnahm, muss offen bleiben.
Der Reichsbahnerstreik in September 1980 beendete den Betrieb des Stellwerks Jun. Nach Ende des Streiks am 28. September 1980 nahm die Deutsche Reichsbahn den Betrieb u.a. auf dem Ring und der Siemensbahn nicht mehr auf. Das Stellwerk Jun wurde 1997 beim Neubau des Bahnsteigs für die Wiedereröffnung der Ringbahn von Westend nach Jungfernheide rückgebaut.
4. Ein paar Fotos zum Beitragsende
Quellen und Links
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[1] Landesarchiv Berlin A Rep. 080 Nr.5648
[2] Kuhnke, Joachim, Inbetriebnahme der Berliner Vorortstrecke von Jungfernheide nach Gartenfeld, Zentralblatt der Bauverwaltung 1930, Seiten 84-85
[3] Berliner Verkehrsblätter 5/1975, Kurmeldungen Seite 99
Das Stellwerk Jun auf Stadtschnellbahn-Berlin
Der Bahnhof Jungfernheide auf Stadtschnellbahn-Berlin
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Veröffentlicht: 23. September 2020
Update:
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