
Das Stellwerk Wl in Kürze |
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Die telegraphische Abkürzung Wl steht für Wilmersdorf. |
Streckenblock: SB 59 (Selbstblock Bauform 59) mit Anpassung an Relaisblock nach Tempelhof und SB 59 nach Halensee. |
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Wl war vom 3. Juni 1971 bis ca. 2002 in Betrieb. |
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Das Spurplanstellwerk der Bauform Sp Dr S60 lieferte die Firma Siemens. |
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Architekt des Stellwerks Ws war Rainer G. Rümmler. Das Stellwerk wurde im April/Mai 2014 abgerissen. |
Der Fahrdienstleiter Wl steuerte mit dem Zentralstellwerk Wl den gesamten Bahnhof Wilmersdorf. Vdp war der benachbarte Fahrdiensleiter bis Mai 1986, danach war der Weichenwärter Twt der blocktechnische Nachbar. Richtung Halensee begrenzte der Weichenwärter des Stellwerks Hsb die Blockstrecke. Nach der Außerbetriebnahme von Hsb im September 1982 begrenzte das Stellwerk Hal die Blockstrecke. Zum Titelfoto: Traurig, aber wahr: Nach der Außerbetriebnahme des Stellwerks Wl ca. 2002 verfiel der Hochbau (besonders durch Vandalismus) immer mehr. Der neue Eigentümer des Bahnhofsgeländes lies das Stellwerk abreißen. Die schöne Abendstimmung ändert nichts an der Trostlosigkeit. 15. Mai 2014 Foto Lars Molzberger. |
1. Die drei Stellwerke des Bahnhof Wilmersdorf
Auf dem Bahnhof Wilmersdorf-Friedenau steuerten ab ca. 1901 drei Stellwerke den Betriebsablauf:
- Das Befehlsstellwerk Wl (Wilmersdorf) an der Handjerystraße;
- das Wärterstellwerk Wot (Wilmersdorf Ostturm) an der Hauptstraße;
- das Befehlsstellwerk Wlb (Wilmersdorf Bahnsteig) auf dem Bahnsteig des Bahnhof Wilmersdorf-Friedenau für den Personenverkehr der Ringbahn.
Die Stellwerke Wlb und Wot waren mechanische Stellwerke der Bauform Siemens & Halske, bei Wl kann auch von der gleichen Bauform ausgegangen werden. Das Stellwerk Wot war als Blockstelle am Personenverkehr (ab 1928 elektrischer Zugbetrieb) auf dem Ring beteiligt. Erst im Mai 1933 verlor Wot die betriebliche Funktion der Blockstelle auf der S-Bahn.[1] Zwischen den S-Bahnnhöfen Wilmersdorf-Friedenau und dem neuen S-Bahnhof Schöneberg wurde eine Selbstblockstrecke mit Formhauptsignalen in Betrieb genommen.Im Stellwerk Wl war das Bahnhofsbüro der Dienststelle Wilmersdorf untergebracht. Der Fahrdienstleiter wird die räumliche Nähe zu seinen Vorgesetzten garantiert geschätzt haben...[2]
Durch die Innenstadtlage war der Güterbahnhof Wilmersdorf im Zweiten Weltkrieg starken Bombardierungen ausgesetzt. Ca 1945 wurde das Stellwerk Wl durch Bombentreffer vollständig zerstört.
Die Deutsche Reichsbahn ersetzte schon im November 1945 das zerstörte Stellwerk Wl durch ein Schlüsselwerk in einem Wagenkasten. Das Wärterstellwerk Wot wurde zum Befehlsstellwerk Wlo umgebaut. Zwischen den beiden Stellwerken bestand bis zur Inbetriebnahme des neuen Zentralstellwerks Wl 1971 kein Bahnhofsblock, d. h. der Wärter konnte theoretisch Fahrten zulassen, ohne dass der Fahrdienstleiter einen Einfluss darauf gehabt hätte. Aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen wurde das Schlüsselstellwerk Wlb genannt und das Stellwerk der S-Bahn in Wls (Wilmersdorf S-Bahn) umbenannt.
2. West-Berlin baut die Autobahn - die Deutsche Reichsbahn erhält Westtechnik
Nachdem die Trümmer des Zweiten Weltkriegs beiseite geräumt waren, machte sich West-Berlin auf in die automobile Gesellschaft. Der Stadtring tauchte schon in den Planungen von Albert Speer als zweiter Autobahnring für die „Welthauptstadt Germania" auf. Die Planungen wurden 1956 von einem Prof. Wehner in ein Schnellstraßennetz für West-Berlin umgesetzt. Das erste Teilstück der Autobahn ging 1958 zwischen der Anschlußstelle Kurfürstendamm und der Anschlußstelle Hohenzollerndamm in Betrieb. Der Innsbrucker Platz hatte für den Autobahnbau starke infrastrukturelle Eingriffe zu ertragen: Die komplette Umgestaltung des Platzes sowie der Abriss von Wohnhäusern. Der S-Bahnhof Innsbrucker Platz war sogar von 1972 bis 1979 für das Bauvorhaben stillgelegt. Die Deutsche Reichsbahn vertrat zu Recht den Standpunkt, dass man mit den damals fast 70 Jahre alten Stellwerken und einem Schlüsselwerk die Bauzustände nicht flüssig beherrschen konnte und Ersatzteile für die mechanische Siemens-Bauform nicht mehr zu beschaffen waren.
Mitten im Kalten Krieg bezahlte der West-Berliner Senat der DDR-zugehörigen Deutschen Reichsbahn die damals modernste Sicherungstechnik. Für die autogerechte Stadt konnte man schon mal über ideologische Befindlichkeiten hinwegsehen. Die Autobahn war wichtiger als die politische Abgrenzung zur DDR. Außerdem hatten beide Seiten in dieser Sache schon Erfahrung: Das 1962 in Betrieb gegangene Stellwerk Wst des Bahnhof Charlottenburg Gbf war das erste Stellwerk, das als Kompensation für den Autobahnbau gebaut wurde.
Rainer G. Rümmler, der leitende Baudirektor der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, entwarf das Stellwerk Wl. Rümmler, den Berliner U-Bahn-Freunden als Architekt zahlreicher U-Bahnhöfe wie z.B. Rathaus Spandau, Residenzstraße, Eisenacher Straße bekannt, zeichnete sich neben dem Stellwerk Wl auch für einen ähnlichen Bau für die U-Bahn Betriebswerkstatt Britz Süd verantwortlich.
3. Ein Stellwerk mit Aussicht
Das Stellwerk Wl wurde zwischen 1969 und 1971 gebaut. Der Stellwerksturm hat eine Länge von 9,00 m, eine Breite von 6,50 m und eine Höhe von 13,25 m. Der Anbau kommt auf eine Länge von 45,51 m und eine Breite von 7,99 m. Die Kanzel hat die Maße 12,20 m Länge und 10,00 m Breite. [3] Durch den 4,00 m hohen Bahndamm ergibt sich eine schöne Aussicht auf die Stadt. Mit der Inbetriebnahme des Zentralstellwerks Wl am 3. Juni 1971 gingen die drei Stellwerke Wlo, Wlb und Wls außer Betrieb.
Die beiden deutschen Bahnen hatten sich zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Stellwerks Wl unterschiedlich stark in der Signalisierung auseinander entwickelt. Die Deutschen Bundesbahn setzte weiterhin auf das Hp-Signalsystem, bei dem die Lichtsignale die Nachtzeichen der Formsignale zeigten. Die Deutsche Reichsbahn setzte dagegen seit 1959 das Lichthaupt- und Lichtvorsignalsystem (Hl) ein, das sich erheblich von der Signalgebung der Formhauptsignale und dem Signalsystem der Deutschen Bundesbahn unterschied. Beim Stellwerk Wl hatte die Deutsche Reichsbahn (noch) kein volles Mitspracherecht, was die Anpassung der Technik an Betriebsabläufe der DR anging. Getreu nach dem Motto "wer zahlt, schafft an" wurde die Sicherungstechnik nach Vorgaben der Deutschen Bundesbahn eingerichtet. Das fällt besonders an den Außenanlagen auf. Die Bauform der Haupt- und Vorsignale des Bahnhofs entsprechen den Bundesbahn-Lichthauptsignalen. Im linken Bild ist das gut zu erkennen. Das ehemalige Einfahrvorsignal Vp aus Richtung Halensee kann seine westdeutsche Herkunft nicht verleugnen.
Nun hatte die Deutsche Reichsbahn Signale nach Bundesbahn-Richtlinien. Wie löste sie das Problem mit den Signalbegriffen? Es gab 1971 zwei Stellwerke mit diesen Signalen im gesamten Gebiet der Deutschen Reichsbahn. Um nicht etwa die Hp-Begriffe als Ausnahme für West-Berlin ins Signalbuch aufnehmen zu müssen, griff man auf Signalbegriffe zurück, die seit 1959 nicht mehr verwendet werden durften. Im § 66 des seit 1. April 1959 gültigen Signalbuchs der DR heißt es unter Absatz 1: „Der 18. Abschnitt enthält...Signale, die mit Genehmigung des Ministers für Verkehrswesen während einer gewissen Übergangszeit noch verwendet werden dürfen. Mit diesen Signalen dürfen keine weiteren Anlagen und Fahrzeuge ausgerüstet werden." (Hervorhebung von mir). Nun ja, Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Ich kann mir gut vorstellen, dass mit einer Extragenehmigung des Ministers dieses Problem ideologisch sauber gelöst wurde. Die Signalbegriffe waren die Hl100-Begriffe des § 67 und die Vl 100-Begriffe des § 68 des vorgenannten Signalbuchs. Auf dem S-Bahnhof Grünau waren die ältesten Lichtsignale der DR mit den Hl100-Signalbegriffen noch 1982 in Betrieb
Es gab noch eine weitere Besonderheit: Lichtsperrsignale nach Bundesbahn-Bauart kamen nicht zum Einsatz. Hier konnte sich wohl die DR durchsetzen, dass das Wartezeichen für den Signalbegriff Ra 11a verwendet wurden. Die Signalgruppen im Relaisraum und der Stelltisch waren aber auf Lichtsperrsignale projektiert. Die kuriose Folge daraus: Im Stelltisch wurde ein Haltbegriff simuliert, den es vor Ort gar nicht gab! Das Ersatzsignal Zs 1 war ebenfalls an DR-Bestimmungen angepasst. Im Bereich der S-Bahn wurden keine Signale erneuert. Dort blieben die Sv-Signale weiterhin in Betrieb. Die Stelltischausleuchtung war extra auf Sv-Signalbegriffe ausgelegt. Meiner Meinung nach gab es eine solche Konstellation nur in Berlin.
Der Stelltisch Wl hatte rechts einen unbenutzten Bereich, der durch eine graue Blechplatte abgedeckt war. Im Normalfall wird ein Stelltisch exakt auf die projektierte Größe gefertigt. Nach Informationen von Zeutzeugen sollte in diesem Bereich die Abzweigstelle Vdp integriert werden. Angeblich war der DR die Anpassung zu teuer, weil sie nicht durch den Autobahnbau gedeckelt war und die DR die Kosten selbst übernehmen sollte. Das Stellwerk Vdp wurde erst im April 1986 außer Betrieb gesetzt. Wenn man sich vorstellt, dass von 1971 an (also 15 Jahre) die Personalkosten für Vdp garantiert höher lagen als die einmaligen Integrationskosten ins neue Stellwerk, dann war die DR dem Selbstverständnis der DDR folgend, ein humaner Arbeitgeber. Übrigens waren in Wilmersdorf alle 52 Weichen des Güter- und S-Bahnhof an das Stellwerk angeschlossen..
Von 1972 bis 1979 dürfte der Fahrdienstleiter Wl vorrangig für die Baulogistik der Autobahn gearbeitet haben. Nach dem Reichsbahnerstreik im September 1980 und die daraus resultierende Einstellung des S-Bahn Betriebs auf dem Ring blieb nur noch der Güterverkehr übrig. Bis auf einige Güterwagen, die die Spedition Allways erhielt, war auf dem Güterbahnhof nichts mehr los. Die Übergabezüge fuhren von Tempelhof Gbf nach Wilmersdorf. 1981 wurde wegen Brückenbauarbeiten an der Schmargendorfer Brücke ein damals so genannter Falschfahrbetrieb mit Signal Zs 8 (Falschfahrersatzsignal) eingerichtet.
Linkes Bild: Auszug aus der Signaltabelle des Stellwerk Wl mit den Hl100-Begriffen. Bitte zum Vergrößern auf das Bild klicken. Das rechte Bild zeigt die Darstellung der Sv-Signale auf dem Stelltisch Wl.
Exkurs: Der Bahnhof Wilmersdorf
Mit der Schließung des Rings im Herbst 1877 entstand am 15. November 1877 in Höhe der Kufsteiner Straße der erste Bahnhof Wilmersdorf. 15 Jahre später wanderte der Bahnhof etwas weiter westlich an die Handjerystraße und wurde am 1. Mai 1892 als Wilmersdorf-Friedenau eröffnet. Ab 6. November 1928 hielten an der Station elektrische Züge, die ab Dezember 1930 als S-Bahn bezeichnet wurden. Am 15. Mai 1938 fiel der Name „Friedenau" im Bahnhofsnamen weg. Von April bis Juli 1945 ruhte kriegsbedingt der Verkehr. Nach 1961 verlor der Bahnhof wegen der auf der Autobahn verkehrenden Anti-S-Bahn-Buslinie A65 und dem 1971 eröffneten U-Bahnhof Bundesplatz immer mehr Fahrgäste. Der Bahnhof verfiel zusehens. Der Reichsbahnerstreik 1980 gab ihn für die nächsten 13 Jahre den letzten Rest. 1993 wurde er unter dem Namen Bundesplatz mit direkten Umstieg zur U-Bahnlinie U9 wieder eröffnet. Insgesamt ist der Bahnhof zweimal in Richtung Westen verrückt, wenn das nicht verrückt ist. Der Bahnhof Bundesplatz bei Stadtschnellbahn-Berlin.de.
Ob es schon 1877 einen Güterbahnhof Wilmersdorf-Friedenau gab, konnte ich noch nicht genau herausfinden. Die Anlagen des Güterbahnhofs werden wie die Stellwerke etwa um 1900 entstanden sein. Der innerstädtische Güterbahnhof hatte keine Anschlußbahnen, er diente ausschließlich dem Stückgut- und Wagenladungsverkehr. 1910 bestand der Warenumschlag zu ca. 50 Prozent aus Kohlen, zu ca. 35 Prozent aus Baumaterialien und ca. 15 Prozent aus Industrie, Roh- und Hilfsstoffen.[4]
Leider ist davon nach 1945 nicht mehr viel übrig geblieben. Bis auf eine Spedition im Güterboden hatte der Güterbahnhof in den 1990er Jahren kein Ladungsaufkommen mehr. Eine Ausnahme bildete die Neugestaltung des Potsdamer Platz. Für die Baulogistik wurden in Wilmersdorf Zementzüge vorgehalten und bei Bedarf der Baustelle zugeführt. Die Fachmesse Innotrans feierte im Oktober 1996 auf diesem Bahnhof ihre Premiere. Nach der Jahrtausendwende nahm der Güterverkehr auf dem Südring immer mehr ab. Der Bahnhof verfällt seit 2003 immer mehr. 2010 verkaufte die Deutsche Bahn AG das 60.000 m2 große Gelände für die Nutzung als Wohn- und Gewerbefläche an die Hamburger Beteiligungs-Aktiengesellschaft BÖAG.[5] | ||
4. Der Verfall des Stellwerkes Wl
Am 17. Dezember 1993 nahm nach 13 Jahren Dornröschenschlaf die S-Bahn auf dem Südring den Verkehr wieder auf. Die Sicherungsanlagen der S-Bahn steuert seit Wiederaufnahme des Betriebs ein ESTW. Wl steuerte weiterhin nur auf den Gütergleisen des Rings den Verkehr. Vom 15. bis 20. Oktober 1996 wurde erstmals die Fachmesse Innotrans durchgeführt. Als Ausführungsort wurde der Bahnhof Wilmersdorf bestimmt. Das Gleis 15 an der Ladestraße war oberbautechnisch gesperrt. Man scheute keine Kosten, um extra für die Messe das Gleis 14 für Ein- und Ausfahrten der Sonderzüge herzurichten. Dazu wurden die Signale von Gleis 15 nach Gleis 14 umgesetzt. Durch die Spurplantechnik hielten sich die Änderungen im Relaisraum in Grenzen. Nach der Messe wurde Gleis 14 bis 1998 für das Kehren von Reisezügen benutzt. Die Züge aus dem Havelland setzen am provisorischen Bahnsteig Westkreuz aus und ein und fuhren zum Wenden bis Wilmersdorf.
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Um das Jahr 2000 setzte auf dem Südring der Verkehrsrückgang ein. Wl wurde teilweise nur noch im Frühdienst besetzt. Ca. 2003 wurde das Stellwerk endgültig außer Betrieb gesetzt und dem Verfall preisgegeben. Auf den oben gezeigten Fotos ist der krasse Unterschied zu sehen. Der Vergleich zwischen 1997 und 2013 spricht eine deutliche Sprache. Im Gebäude wurde alles zerstört, was man nur zerstören konnte. Gebrannt hat es auch mehrfach. Das Gebäude ist nicht denkmalgeschützt, obwohl es ein typisches Zeitzeugnis der Architektur der 1960er Jahre ist. Ein Abriss ist nur noch eine Frage der Zeit.
Update 3. Mai 2014: Nun ist es soweit: Das Stellwerk Wl wird seit dem 14. April 2014 abgerissen. Siehe die Fotos in der Bildergalerie.
5. Zum Abschluss: Die Bildergalerie des
6. Stellwerks Wl
Quellen und weitere Links
[1] Amtsblatt der RBD Berlin 1933, Nr. 368
[2] Bahnhofsdienstanweisung Wilmersdorf 1938 LAB A Rep. 080-01 Nr. 111
[3] Berlin und seine Bauten Teil X Band B (2) Fernverkehr, Berlin 1984 Seite 201
[4] Das Eisenbahnwesen der Gegenwwart 1910
[5] Siehe Berliner Zeitung vom 22. November 2012
Zeitzeugenaussagen
Letzte Bearbeitung 9. Dezember 2013