
Seit über 150 Jahren integraler Bestandteil der Eisenbahnsicherheit
Das Blockfeld des Carl Frischen
Am 27. September 2020 feierte ein Sicherungsmittel, das eher im Schatten der Aufmerksamkeit der interessierten Öffentlichkeit steht, 150 Jahre seines Bestehens. Es hat die Sicherheit im Eisenbahnbetrieb revolutioniert, und sein grundsätzliches Prinzip gilt noch heute. Die Rede ist vom Blockfeld. Das ist ein elektromechanisches Schloss, das eine Stelle verschließt und eine andere öffnet. Damit konnte der Raumabstand zwischen den Zügen realisiert und erzwungen werden.
Anfangs waren der Verkehr und die Geschwindigkeiten gering. Zuerst fuhr man auf Sicht und konnte vor einem Hindernis rechtzeitig halten. Bereits nach 1850 nahm die Auslastung der Strecken zu, und die Geschwindigkeiten stiegen pro Jahrzehnt durchschnittlich um 10 km/h. Seit 1850 regelten die Eisenbahnverwaltungen die Zugfolge mittels Zeitabstand. Ein Zug durfte einem vorausfahrenden Zug nur in einem definierten Zeitabstand folgen. Meistens waren das fünf bis zehn Minuten. Was aber, wenn der Zug auf der freien Strecke liegen blieb? Was war bei unsichtigem Wetter? Unfälle durch auffahrende Züge sprachen für sich. Als die Morsewerke die Kommunikation zwischen den Bahnhöfen ermöglichten, galt die Rückmeldung des Zuges vom vorgelegenen Bahnhof als Freisein der Strecke. Doch das versprach ebenfalls keine ausreichende Sicherheit, weil die Fehlbarkeit des Menschen mit dieser Technik nicht aufgehoben wird. Ein findiger Ingenieur bei Siemens hatte eine geniale Idee, wie man dieses Problem lösen konnte…
Carl Ludwig Frischen wurde am 20. Juli 1830 in Bremen geboren. [1] Nach dem Studium in Hannover trat er am 1. Januar 1854 in den Dienst der Königlichen Eisenbahndirektion Hannover bei der Telegraphenabteilung als Ingenieur ein. Bereits zwei Jahr später stieg er trotz seiner Jugend zum Telegrapheninspektor auf. Auf Frischen gehen einige Verbesserungen der Telegraphie zurück. Eine dieser Erfindung war 1854 die Differenzialschaltung, die es ermöglichte, auf einer Leitung gleichzeitig Morsetelegramme in beide Richtungen zu senden. Diese Erfindung machte er zusammen mit Werner Siemens, ohne dass beide voneinander wussten. Das Patent auf die Differenzialschaltung teilten sich Frischen und Siemens. Durch diese Erfindung wurde Werner Siemens auf den jungen Ingenieur aufmerksam und spielte 1858 mit den Gedanken, Frischen in seine Firma zu holen. Zwölf Jahre später erst wurde der Gedanke Realität. Auf Grund seiner hervorragenden technischen Leistungen stieg Frischen am 31. März 1867 zum Obertelegraphen-Ingenieur des neugegründeten Norddeutschen Bundes auf. Knapp drei Jahre später hatte Frischen genug vom Staatsdienst und wechselte zum 1. Januar 1870 als Oberingenieur zu Siemens.
Indessen fragten die Eisenbahnverwaltungen bei Siemens nach einer technischen Lösung an, wie das Nachfahren in den besetzten Streckenabschnitt verhindert werden konnte. Siemens beauftragte Frischen, eine technische Lösung zu finden. Das Resultat war das Blocksystem: eine Einrichtung, die vor Ort verschlossen und aus der Ferne wieder geöffnet wurde. Das Prinzip war nicht neu. Der eigentliche Erfinder des Blocksystems war der Brite Sir William Fothergill Cooke (1806–1879). Er war das britische Pendent zu Frischen im Telegraphenwesen. Er erfand 1843 auf Basis der Telegraphie sogenannte Blockzeiger. Eine verstellbare Nadel zeigte auf beiden Betriebsstellen entweder eine freie oder besetze Strecke an. Die Zeiger dienten nur der Information, ohne einen technischen Zwang auszuüben. Es konnte jederzeit ein Zug in die besetzte Strecke nachfahren.
Genau dieses System hat Frischen verbessert. Am eingangs genannten 27. September 1870 lag die erste Zeichnung des Blockapparats vor. Das erste Muster vom Oktober 1870 folgte noch dem Prinzip von Cooke und wurde von den Bahnverwaltungen positiv aufgenommen. Mit einer Einschränkung: Frischen arbeitete mit Gleichstrom. Auf einer Versammlung von Eisenbahnfachleuten am 1. Dezember 1870 in Berlin sprachen sich diese gegen den Gleichstrom aus. Man befürchtete, dass atmosphärische Störungen oder kurzgeschlossene Freileitungen das Blocksystem beeinflussen könnten, und sprach sich für Wechselstrom aus. Das war die Geburtsstunde des heute noch verwendeten Wechselstromblockfeldes. Frischen verzichtete auf die Stromversorgung mit Batterien wie bei den Morseschreibern. Die Spannung wurde mittels des Kurbelinduktors induziert, was den Vorteil einer höheren Betriebsspannung (ca. 70 Volt, 25 Hertz), geringe Leitungsquerschnitte und dadurch geringere Instandhaltungskosten hatte. (Hinweis: Gleichstrom-Blockfelder werden heute noch auf Betriebsstellen mit oft nur einem Stellwerk verwendet, z.B. für ausfahrende Züge zum Festlegen
von Fahrstraßen, die nach der Ausfahrt vom Zug über Schienenkontakt aufgelöst werden.)
Das Blockfeld – stets arbeiten zwei zusammen – ist im Grundsatz ein elektromechanisches Schloss, das vor Ort verschlossen wird und nur von anderer Stelle aus wieder aufgeschlossen werden kann (korrespondierende Blockfelder). Bis auf einige Erweiterungen, die die Betriebssicherheit erhöhten und weitere technische Zwangspunkte vorsahen, hat sich am grundsätzlichen Aufbau des Wechselstromblockfelds bis heute nichts geändert. Zur Bezeichnung dieser technischen Einrichtung übernahm Frischen pragmatisch das englische Verb „to block“ für absperren, verriegeln. Die entsprechende deutsche Bezeichnung „Fernverschlussfeld“ war selbst für damalige sprachlich konservative Zeitgenossen zu sperrig.
1867, also etwa um dieselbe Zeit wie Frischen, erfand der US-Amerikaner William Robinson (1840–1921) den Gleisstromkreis, der die Grundlage für die automatische Gleisfreimachung und damit für den automatischen Streckenblock bildet. Bereits 1870 konnte er auf der Philadelphia and Erie Railroad einen funktionsfähigen automatischen Streckenblock realisieren. Die US-amerikanischen Eisenbahnen nahmen sein System dankend an. Selbstverständlich verfolgte man auch in Deutschland diese Entwicklung. Sie wurde aber in den höchsten Fachkreisen zunächst kategorisch abgelehnt. 1903 hielten der Geheime Oberbaurat Blum und Regierungs- und Baurat Scholkmann – zwei für die technische Weiterentwicklung der Eisenbahn einflussreiche Persönlichkeiten – einen Vortrag im Ministerium der öffentlichen Arbeiten über die Sicherheit im Eisenbahnbetrieb. Unter den Anwesenden war auch Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich. Blum und Scholkmann präferierten das deutsche Blocksystem als das beste System überhaupt. Sie lehnten die US-amerikanische Betriebsführung komplett ab. Ob diese harte Haltung der Anwesenheit des Kaisers geschuldet war, muss offenbleiben. Die Quelle trifft dazu keine Aussage.
Beim automatischen Streckenblock entscheidet der Triebfahrzeugführer selbstständig über die Weiterfahrt bei einer Block- oder Signalstörung. [2] Im Gegensatz dazu galt zu dieser Zeit in Deutschland ein Absoluthalt. Bei einer Störung darf nur der zuständige Fahrdienstleiter über die Vorbeifahrt am haltzeigenden Signal entscheiden. Anders beim automatischen Blocksystem, bei dem kein stationäres Personal am Ort ist. Die Berliner Hochbahn betrieb bereits seit 1. bzw. 27. Juli 1913 zwischen Spittelmarkt und Nordring (heute Schönhauser Allee) selbsttätigen Streckenblock. Seit 1915 nutzte man Gleisstromkreise zum Anzeigen von besetzten Gleisen auf dem Leipziger Hauptbahnhof. Die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) entwickelte ein auf dieser Basis arbeitendes Signalsystem, das 1927 auf der Vorortstrecke Potsdamer Ringbahnhof–Lichterfelde Ost installiert wurde, z. T. noch mit Formsignalen. Im März 1928 konnte dann das bekannte Sv-Signalsystem mit automatischem Streckenblock auf der Berliner Stadtbahn zwischen Charlottenburg und Schlesischem Bahnhof (heute Ostbahnhof) realisiert werden, das man nach und nach ausdehnte. Auch auf den Ferngleisen der Berliner Stadtbahn plante man einen derartigen automatischen Streckenblock, der nur auf dem Abschnitt Schlesischer Bahnhof–Rummelsburg im Mai 1939 eingebaut wurde, aber die Wirren des Krieges nicht überstand.
Obwohl die Blocktechnik die Sicherheit des Betriebes elementar verbesserte, war sie bis 1905 rechtlich nicht verbindlich vorgeschrieben. Erst die erste Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 4. November 1904, in Kraft gesetzt am 1. Mai 1905, schrieb den Streckenblock rechtlich vor. Bis heute hat sich an dem Grundsatz nichts geändert.
BO von 1904:
§ 22. Streckenblockung
Auf Bahnen mit besonders dichter Zugfolge muß das Signal für die Einfahrt in einen Streckenabschnitt unter Verschluß der nächsten Zugfolgestelle liegen.
EBO vom 8. Mai 1967 in der Fassung vom 5. April 2019:
§ 15 Streckenblock, Zugbeeinflussung
(1) Auf Bahnen mit besonders dichter Zugfolge muß das Signal für die Fahrt in eine Blockstrecke unter Verschluß der nächsten Blockstelle liegen
Für die Firma Siemens, die praktisch über das Monopol auf die Blocktechnik verfügte, war das Blockfeld der Verkaufsschlager. 1906 baute man extra das Blockwerk in Berlin-Siemensstadt, um der ständig steigenden Nachfrage nach Blockfeldern nachkommen zu können. Von anfangs 14 000 Stück bis zum Jahr 1887 konnte der Absatz bis 1922 auf 300 000 Stück gesteigert werden. [3] Bis zur kriegsbedingten Zerstörung des Blockwerks im Jahre 1943 lieferte Siemens mehr als 450 000 Blockfelder an die deutschen Eisenbahnen und fast ebenso viele an das Ausland. [4] 2019 waren noch 642 mechanische Stellwerke bei der Deutschen Bahn AG in Betrieb. [5] Gehen wir von durchschnittlich fünf Blockfeldern pro Stellwerk aus, so sind noch heute mindestens über 3000 Blockfelder deutschlandweit in Betrieb.
Quellen und Links
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[1] Natalis, F.: Das 60jährige Jubiläum der Eisenbahnblockapparate und der hundertste Geburtstag ihres Schöpfers Carl Frischen.
Siemens Jahrbuch 1930. – S. 25–45
[2]Scholkmann; Blum: Die Sicherung des Eisenbahnbetriebes. – Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen, Nr.
19/1903. – S. 277–281
[3] Wie 1
[4] Pottgießer, H.: Sicher auf den Schienen. – Birkhäuser 1988. – S.105
[5] Deutsche Bahn Netz AG: Infrastrukturzustands- und -entwicklungsbericht 2019. – S. 135 |
Veröffentlicht: 28. Februar 2021 |