Zum Titelfoto: Mitte der 1970er Jahre herrschte noch ein nostalgischer Charme beim Stellwerk Tgl vor. Man beachte bitte die Freileitungen am rechten oberen Bildrand. Foto Sammlung Thomas Ley
 
 

In Betrieb vom 1. Oktober 1905 bis zum 22. August 1987

Tgl ist die telegraphische Abkürzung von Tegel.

Die Nachbarstellwerke von Tgl waren der Weichenwärter  Tnb Tegel Nordbude (bis 1968) und der Weichenwärter Tsb (Tegel Südbude)

Der Architekt des Stellwerks Tgl war Carl Cornelius.

 

Bauform des Stellwerks Tgl:

Mechanisch der Bauform Hein, Lehmann & Co.

1936 2 Formhauptsignale D und I, Gleissperrsignal

Bahnhofs- und Streckenblock

Felderblock für Streckenblock zweigleisige Strecken bis 1929. Felderblock als Bahnhofsblock zu den Stellwerken Tnb und Tsb. Nach 1968 Richtung Heiligensee kein Streckenblock.

 

km 10,8 der Strecke Tegel—Heiligensee. Standort des Stellwerks Tgl bei Openstreetmap

Hinweis: Bitte mit dem Mauszeige auf die Koordinaten unter Internal zeigen, damit der Positionsmarker angezeigt wird. 

Standort Tu 1969

 

 

Das Befehlsstellwerk des Bahnhofs Tegel - Tgl

 

1905 wurde die Kremmener Bahn zwischen Abzweig Tga und Tegel zweigleisig ausgebaut. Der Bahnhof Tegel erhielt drei Stellwerke, die die Fahrten auf diesem Bahnhof steuerten. Der Fahrdienstleiter Tgl wurde in die Mitte zu den Bahnsteigen A und B des neuen Bahnhof platziert. Die Einfahrt von Reinickendorf steuerte das Stellwerk Tsb (Tegel Südbude), die Einfahrt von Schulzendorf das Stellwerk Tnb (Tegel Nordbude).

Der Architekt Karl Cornelius entwarf das repräsentative Gebäude, das auch heute noch auf den Betrachter Eindruck ausübt. Die Bauzeichnung des Stellwerks ist noch erhalten, sieh unten. Das Hebelwerk lieferte die Eisenbahn-Signalbau-Anstalt Hein-Lehmann und Co aus der Flottenstraße in Reinickendorf.

 

Bauzeichnung des Stellwerks Tgl von 1904. Archiv Berliner Stellwerke.deBauzeichnung des Stellwerks Tgl von 1904. Archiv Berliner Stellwerke.de

 

 

Die Zeit von 1910 bis 1945

Das Stellwerk Tgl 1983.Das Stellwerk Tgl 1983Am 01. Oktober 1910 wurde der Hauptbahnbetrieb auf der Kremmener Bahn bis Velten aufgenommen. Den Vorgaben einer Hauptbahn folgend wurde die Sicherungstechnik entsprechend angepasst. Dazu zählt insbesondere die Ausrüstung mit Strecken- und Bahnhofsblock zur Sicherung der Zugfahrten auf freier Strecke und im Bahnhof. Der Fahrdienstleiter Tgl befand sich in Bahnhofsmitte, die Stellwerke Tsb und Tnb am jeweiligen südlichen bzw. nördlichen Ende des Bahnhofs Tegel. Während Tnb ein abhängiges Wärterstellwerk war, gab es bei Tsb eine Besonderheit: Es war eine Blockstelle mit Abzweigung (heute Abzweigstelle genannt) nach damaligen Sprachgebrauch und ein von Fahrdienstleiter Tgl abhängiges Endstellwerk für die Ein- und Ausfahrten in den Güterbahnhof Tegel. Zwischen dem Signal A Tsb und dem Signal D Tgl bestand Streckenblock, d.h. freie Strecke. Der Wärter Tsb war also Fahrdienstleiter und Weichenwärter in einer Person. Bezahlt wurde er aber nur als Weichenwärter. Bei den Preußisch-Hessischen-Staatsbahnen war diese Betriebsführung zu dem damaligen Zeitpunkt völlig normal.

Mit der Aufnahme des elektrischen Betriebs auf der Kremmener Bahn am 16. März 1927 wurden die Sicherungsanlagen bis ca 1929 an die Normen der Deutschen Reichsbahn angepasst. Der Streckenblock zwischen Tsb und Tgl entfiel und wurde zum Bahnhofsblock umgebaut. Der Weichenwärter Tsb war nun für alle Ein- und Ausfahrten blocktechnisch vom Fahrdiensleiter Tgl abhängig.[1] Auf dem Stellwerk Tgl arbeiteten mit Stand 1929 pro Dienstschicht ein Fahrdienstleiter und ein Weichenwärter. Im Frühdienst kam noch ein Telegraphist hinzu. Die Besetzung war dem hohen Verkehrsaufkommen geschuldet. Das Stellwerk Tgl stand übrigens bis 1933 am südlichen Ende des Bahnsteig B, der auf Grund des Fortfalls der dampfbespannten Vorortzüge, die in Tegel wendeten, abgetragen wurde.

Der Stellwerksbezirk Tgl 1936Der Stellwerksbezirk des Stellwerks Tgl 1936

 

 

Demontage und Rationalisierung - die Zeit von 1945 bis 1987

 

1945 demontierten die Sowjets das Streckengleis Velten-Schönholz. Der elektrische S-Bahn Betrieb wurde im Juli oder August 1945 zwischen Stettiner Bahnhof und Tegel wieder aufgenommen. Mit der Verlängerung des S-Bahn-Betrieb bis Heiligensee am 22. November 1945 musste der Fahrdienstleiter Tgl mit einer sog. Sägefahrt die Züge kreuzen. Der Zug von Heiligensee fuhr von Gleis 5 in die Kehranlage und wartete die Einfahrt des Zuges vom Stettiner Bahnhofauf Gleis 1 ab. Nach Freiwerden des Gleis 1 setzte der Zug aus der Kehre nach Gleis 1 um und setzte seine Fahrt nach Stettiner Bahnhof fort. Wann die Gleise auf Kreuzungsbetrieb umgebaut wurden, konnte ich bisher nicht erschließen

Auf Grund neuer Erkenntnisse ist der von Peter Bley in seinem Buch über die Kremmener Bahn geschilderte historische Zeitablauf nicht zutreffend. Die Sowjets demontierten 1945 „nur" das Gleis Velten—Tegel. Ein Bericht der Deutschen Reichsbahn an die SMAD  vom 28. November 1945 erwähnt die Aufnahme des zweigleisigen Betriebs am 22. November 1945 bis Tegel[2].

Im Juni 1946 sah die Situation bereits anders aus. Laut einem Bericht der Rbd Berlin konnten die Arbeiten für den Umbau des Bahnhofs Tegel zum Kreuzungsbahnhof wegen Materialknappheit nicht fertiggestellt werden[3]. Erst ein Jahr später, am 4. Juni 1947 war  Tegel ein Kreuzungsbahnhof[4]. Wer hat das Gleis Tegel—Schönholz demontiert? Die Indizien sprechen dafür, dass die französische Besatzungsmacht das Gleis für die Anbindung der Kaserne Quartier Napoleon demontiert hat. Die Franzosen haben im August 1945 ihre Besatzungszone übernommen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Franzosen es geduldet hätten, dass eine andere Besatzungsmacht einfach Eingriffe in die Infrastruktur in ihrer Besatzungszone vornehmen kann. Im September 1946 erhielt die Rbd Berlin Kenntnis über ein Gleisneubau  in die Kaserne[5].  Wenn man die Fakten zusammenzieht, kann man zu keinen anderen Schluss gelangen, das das Gleis Tegel—Schönholz nur durch die Franzosen demontiert worden ist.

Mit dem Umbau des Bahnhofs Tegel zu einem Kreuzungsbahnhof wurde die Kehranlage durch Gleissperrsignale sicherungstechisch gesichert. Auf den o.a. Gleisplanausschnitt von 1936 sind keine Gleissperr- oder Wartesignale zu sehen. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Kehre planmäßig nicht zum Kehren/Abstellen von Zügen benutzt wurde. Nach der reparationsbedingt zwangsweise eingeschränkten Infrastrukur erhielt die Kehranlage wieder einen betrieblichen Nutzen.

Mit dem Mauerbau am  13. August 1961 änderte sich für den Fahrdienstleiter Tgl der Betriebsablauf: Nach Heiligensee wurde ein 20-Minuten-Takt mit Kreuzung in Tegel eingeführt, der sich bis zur Betriebseinstellung der S-Bahn am 9. Januar 1984 nicht mehr änderte.

Blick vom Tegel-Center auf den Bahnhof Tegel mit Stellwerk. ca 1983. Foto: Sammlung Thomas LeyBlick vom Tegel-Center auf den Bahnhof Tegel mit Stellwerk. ca 1983. Foto: Sammlung Thomas Ley

1968 entschloß sich die Deutsche Reichsbahn aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus, den Betrieb auf dem Bahnhof Tegel zu rationalisieren. Für die Fahrten nach und von Heiligensee war der Weichenwärter Tnb überflüssig geworden. Die beiden Schrankenposten 5 und 5a wurden aufgelöst, die Gebäude abgerissen. Das Stellwerk Tnb wurde mit einem Anbau für die Schrankenbedienung versehen und war fortan der neue Schrankenposten 5. Die Ausfahrsignale K und L sowie das Einfahrsignal M und die Weichen 53, 55 und 60 wurden beim Fahrdienstleiter Tgl integriert.  Wegen der großen Stellentfernung zum Einfahrsignal M (rund 700m) wurde das Signal mit einem elektrischen Antrieb versehen. Mit dem Umbau konnte auch das noch besetzte Stellwerk Hls in Heiligensee geschlossen werden. Die Strecke nach Heiligensee war nicht mit einem Streckenblock versehen. Der Betrieb wurde quasi auf Nebenbahn-Niveau durchgeführt. Es konnte jederzeit ein Zug nach Heiligensee nachfahren. Für die Einfahrt von Heiligensee nach Gleis 5 mußte die Aufsicht Tegel die Fahrstraße durch Schließtaste auflösen, das der Fahrdienstleiter Tgl den Zugschluß nicht erkennen konnte.

Im Stellwerk Tgl war eine Mutteruhr installiert, die die Uhren des Bahnhof Tegel steuerte. 1979. Foto: Thomas LeyIm Stellwerk Tgl war eine Mutteruhr installiert, die die Uhren des Bahnhof Tegel steuerte. 1979. Foto: Thomas Ley

Mit der Einstellung des S-Bahn-Betriebs durch die BVG am 09. Januar 1984 blieb dem Fahrdienstleiter Tgl nur noch der Güterverkehr mit dem anfallenden Rangiergeschäft übrig.

Mit dem Bau der Autobahn Richtung Hamburg wurden auf dem Bahnhof Tegel umfangreiche Umbauarbeiten nötig. Als Kompensation für diesen Eingriff erhielt die Deutsche Reichsbahn auf Kosten des Berliner Senats ein komplett neues Stellwerk für den Bahnhof Tegel. Ein Grund dafür dürfte auch die Ersatzteilbeschaffung für die Stellwerke gewesen sein. Für Hein, Lehmann-Stellwerke gab es 1987 einfach keine Möglichkeit mehr, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten Ersatzteile zu beschaffen oder gar herzustellen. Die Bauart des Hebelwerks, das in Tgl verbaut war, war 1987 sowieso einzigartig in Deutschland. Am 22. August 1987 ging das neue Spurplanstellwerk Tgl in Betrieb. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war das mechanische Stellwerk Tgl außer Betrieb. Das Stellwerksgebäude steht unter Denkmalschutz und verfällt zusehens.

7. Januar 1984.Mein Vater gibt die Einfahrt für die S-Bahn frei. Zwei Tage später ist die S-Bahn erst einmal Geschichte. Ein unbekanntes Mädchen schaut ihm beim Arbeiten zu. Foto Sammlung Lars Molzberger7. Januar 1984.Mein Vater gibt die Einfahrt für die S-Bahn frei. Zwei Tage später ist die S-Bahn erst einmal Geschichte. Ein unbekanntes Mädchen schaut ihm beim Arbeiten zu. Foto Sammlung Lars Molzberger

 

Nachfolgend zwei Gleispläne von 1962 und 1976:

Gleisplan Tegel 1962. Sammlung Lars MolzbergerGleisplan Tegel 1962. Sammlung Lars Molzberge

 

Situation des Stellwerksbezirk Tgl 1976. Sammlung Lars MolzbergerSituation des Stellwerksbezirk Tgl 1976. Sammlung Lars Molzberger


Anmerkungen zum Hebelwerk und Fotos

 

Das Typenschild stammt vom Stellwerk Tsb. Beim Stellwerk Tgl war das gleiche Schild verbaut.Das Stellwerk Tgl war mit einer Bauart von Hein, Lehmann & Co ausgestattet, die bisher unter den bereits bekannten Aufnahmen im Internet nicht bekannt ist. Bei dieser Bauart ist die Grundstellung der Signalhebel unten, die der Weichen, Riegel und  Gleissperren oben. Auffälligstes Merkmal sind die Fahrstraßenhebel, die vertikal am Blockwerk angeordnet sind. Die Fahrstraßenhebel lassen sich nach links oder rechts bewegen, die Blocksperren sind unsichtbar im Blockwerk angeordnet. Bei späteren Bauarten ist die Hebelgrundstellung für Signale oben und die Fahrstraßenhebel vom Blockwerk abgesetzt vertikal angeordnet. Nach jetziger Erkenntnis ist diese Bauart auch in Polen nicht mehr vorhanden. In Wolsztyn (Wollstein), bei Eisenbahnfreunden als polnisches Dampflok-Mekka bekannt, sind Hein, Lehmann-Stellwerke heute noch in Betrieb.

Mit der Außerbetriebnahme des mechanischen Stellwerk Tgl am 22. August 1987 wurde dieses einzigartige Hebelwerk vor Ort zerschnitten und dem Schrott übergeben. Anscheinend hat niemand unter den Verantwortlichen der Deutschen Reichsbahn oder des damaligen Verkehrsmuseums den Wert des Hebelwerks für die Nachwelt erkannt.

 

 

Woher stammt das Wissen?

 

  [1] Bahnhofsdienstanweisung Bahnhof Tegel vom 01. Dezember 1929, Landesarchiv A Rep 080-01 Nr. 103

  [2] Bericht der Deutschen Reichsbahn an die sowjetische Militäradministration vom 28.11.1945, Bundesarchiv Berlin DM 1 Nr. 28

   [3] Monatliche Betriebsberichte über die Anpassung der baulichen Anlagen an den neuen Zustand der Bahnanlagen BA DM 1/3426, Bericht vom 18. Juni 1946 

  [4] Monatliche Betriebsberichte über die Anpassung der baulichen Anlagen an den neuen Zustand der Bahnanlagen BA DM 1/3426, Bericht vom 1. Juli 1947

  [5] LAB C Rep 309 Nr. 4504: Am 23. September 1946 teilte der Magistrat von Berlin der Reichsbahndirektion Berlin mit, dass auf Befehl der französischen Besatzungsmacht ein Gleis in die Kaserne Quartier Napoleon verlegt wurde. Die Rbd Berlin „durfte“ das Gleis nachträglich abnehmen.

Veröffentlicht am 15. April 2012

Letzte Bearbeitung am 28. Oktober 2022