Das Stellwerk Tgl in Kürze

 

Die telegraphische Abkürzung Tgl steht für Tegel.

  

Felderblock für zweigleisige Strecke bis 1929

Bahnhofsblock: Felderblock zu den Stellwerken Tnb und Tsb.


 

   

Tgl war vom 1. Oktober 1905 bis zum 22. August 1983 in Betrieb. Es war ein Befehlsstellwerk für die S- und F-Bahn

 

Das mechanische Hebelwerk der Bauform Hein, Lehmann lieferte die Fa. Hein, Lehmann & Co.

 

Der Architekt des Stellwerks Tgl ist ist Carl Cornelius.

Standort des Stellwerks Tgl bei Google Maps.

Der Fahrdienstleiter Tgl arbeitete mit den Stellwerken Tsb und Tnb des Bahnhofs Tegel zusammen.

Zum Titelfoto: Mitte der 1970er Jahre herrschte noch ein nostalgischer Charme beim Stellwerk Tgl vor. Man beachte bitte die Freileitungen am rechten oberen Bildrand.  Foto Sammlung Thomas Ley

Inhaltsverzeichnis[Verbergen]

 

 

1. Das Befehlsstellwerk des Bahnhofs Tegel - Tgl

 

1905 wurde die Kremmener Bahn zwischen Abzweig Tga und Tegel zweigleisig ausgebaut. Der Bahnhof Tegel erhielt drei Stellwerke, die die Fahrten auf diesem Bahnhof steuerten. Der Fahrdienstleiter Tgl wurde in die Mitte zu den Bahnsteigen A und B des neuen Bahnhof platziert. Die Einfahrt von Reinickendorf steuerte das Stellwerk Tsb (Tegel Südbude), die Einfahrt von Schulzendorf das Stellwerk Tnb (Tegel Nordbude).

Der Architekt Karl Cornelius entwarf das repräsentative Gebäude, das auch heute noch auf den Betrachter Eindruck ausübt. Die Bauzeichnung des Stellwerks ist noch erhalten, sieh unten. Das Hebelwerk lieferte die Eisenbahn-Signalbau-Anstalt Hein-Lehmann und Co aus der Flottenstraße in Reinickendorf.

 

Bauzeichnung des Stellwerks Tgl von 1904. Archiv Berliner Stellwerke.de

 

 

 

1.1. Exkurs: Der Bahnhof Tegel

 

Das Empfangsgebäude Tegel in den 1950er Jahren. Foto: Sammlung Lars Molzberger

 

 

Der Bahnhof Tegel wurde am 01. Oktober 1893 mit der Inbetriebnahme der  Kremmener Bahn eröffnet.  Anfangs ein einfacher Lokalbahnhof an einer Nebenbahn, stieg seine Bedeutung spätestens mit der Ansiedlung der Fa. August Borsig in Tegel seit 1898. Neben Borsig zogen auch andere Unternehmen nach, weil sie in der unbewohnten Umgebung problemlos expandieren konnten. So kamen nach und nach Anschlüsse zur Deutschen Waffen und Munitions-Fabriken, zur Eisenbahn-Signalbau-Anstalt Zimmermann & Buchloh hinzu. 1905 baute die Stadt Berlin das damals größte Gaswerk Europas in Tegel. Wieder war die Bedeutung für den Güterverkehr gestiegen. Nicht zu vergessen, die 1908 eröffnete Industriebahn Tegel-Friedrichsfelde. Ebenfalls 1905 wird die Strecke bis Tegel zweigleisig ausgebaut: Der Bahnhof erhält zwei Bahnsteige.

1927 sah der Bahnhof erstmals elektrisch betriebene Vorortzüge, die spätere S-Bahn. Der Bahnsteig B wurde durch den S-Bahn-Verkehr überflüssig und 1933 abgetragen.

1945 wurde es militärisch in Tegel: Die französische Besatzungsmacht richtete sich mit ihrem Gare Française Berlin-Tegel auf dem Bahnhof ein und blieb bis 1994.

Am 09. Januar 1984 wurde der S-Bahn-Betrieb in Tegel eingestellt, die BVG sah keine Notwendigkeit, die S-Bahn wie bisher nach Heiligensee fahren zu lassen. Es gab ja die U-Bahn. So dauerte es bis zum 28. Mai 1995, bis der Bahnhof Tegel wieder eine S-Bahn sah. Drei Jahre später ging es sogar bis Hennigsdorf weiter. Dafür wurde am 01. Januar 1996 der Güterverkehr eingestellt. Seit 2010 sind alle Gleisanlagen des Güterverkehrs beseitigt, der einst zweitgrößte Bahnhof der Kremmener Bahn bietet einen traurigen Anblick.

 

 

 

2. Die Zeit von 1910 bis 1945

Das Stellwerk Tgl 1983Am 01. Oktober 1910 wurde der Hauptbahnbetrieb auf der Kremmener Bahn bis Velten aufgenommen. Den Vorgaben einer Hauptbahn folgend wurde die Sicherungstechnik entsprechend angepasst. Dazu zählt insbesondere die Ausrüstung mit Strecken- und Bahnhofsblock zur Sicherung der Zugfahrten auf freier Strecke und im Bahnhof. Der Fahrdienstleiter Tgl befand sich in Bahnhofsmitte, die Stellwerke Tsb und Tnb am jeweiligen südlichen bzw. nördlichen Ende des Bahnhofs Tegel. Während Tnb ein abhängiges Wärterstellwerk war, gab es bei Tsb eine Besonderheit: Es war eine Blockstelle mit Abzweigung (heute Abzweigstelle genannt) nach damaligen Sprachgebrauch und ein von Fahrdienstleiter Tgl abhängiges Endstellwerk für die Ein- und Ausfahrten in den Güterbahnhof Tegel. Zwischen dem Signal A Tsb und dem Signal D Tgl bestand Streckenblock, d.h. freie Strecke. Der Wärter Tsb war also Fahrdienstleiter und Weichenwärter in einer Person. Bezahlt wurde er aber nur als Weichenwärter. Bei den Preußisch-Hessischen-Staatsbahnen war diese Betriebsführung zu dem damaligen Zeitpunkt völlig normal.

Mit der Aufnahme des elektrischen Betriebs auf der Kremmener Bahn am 16. März 1927 wurden die Sicherungsanlagen bis ca 1929 an die Normen der Deutschen Reichsbahn angepasst. Der Streckenblock zwischen Tsb und Tgl entfiel und wurde zum Bahnhofsblock umgebaut. Der Weichenwärter Tsb war nun für alle Ein- und Ausfahrten blocktechnisch vom Fahrdiensleiter Tgl abhängig.[1] Auf dem Stellwerk Tgl arbeiteten mit Stand 1929 pro Dienstschicht ein Fahrdienstleiter und ein Weichenwärter. Im Frühdienst kam noch ein Telegraphist hinzu. Die Besetzung war dem hohen Verkehrsaufkommen geschuldet. Das Stellwerk Tgl stand übrigens bis 1933 am südlichen Ende des Bahnsteig B, der auf Grund des Fortfalls der dampfbespannten Vorortzüge, die in Tegel wendeten, abgetragen wurde.

 

 

3. Demontage und Rationalisierung - die Zeit von 1945 bis 1987

 

1945 demontierten die Sowjets das Streckengleis Velten-Schönholz. Der elektrische S-Bahn Betrieb wurde im Juli oder August 1945 zwischen Stettiner Bahnhof und Tegel wieder aufgenommen. Mit der Verlängerung des S-Bahn-Betrieb bis Heiligensee am 22. November 1945 musste der Fahrdienstleiter Tgl mit einer sog. Sägefahrt die Züge kreuzen. Der Zug von Heiligensee fuhr von Gleis 5 in die Kehranlage und wartete die Einfahrt des Zuges vom Stettiner Bahnhofauf Gleis 1 ab. Nach Freiwerden des Gleis 1 setzte der Zug aus der Kehre nach Gleis 1 um und setzte seine Fahrt nach Stettiner Bahnhof fort. Wann die Gleise auf Kreuzungsbetrieb umgebaut wurden, konnte ich bisher nicht erschließen[2]

Mit dem Mauerbau am  13. August 1961 änderte sich für den Fahrdienstleiter Tgl der Betriebsablauf: Nach Heiligensee wurde ein 20-Minuten-Takt mit Kreuzung in Tegel eingeführt, der sich bis zur Betriebseinstellung der S-Bahn am 09. Januar 1984 nicht mehr änderte.

Blick vom Tegel-Center auf den Bahnhof Tegel mit Stellwerk. ca 1983. Foto: Sammlung Thomas Ley

1968 entschloß sich die Deutsche Reichsbahn aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus, den Betrieb auf dem Bahnhof Tegel zu rationalisieren. Für die Fahrten nach und von Heiligensee war der Weichenwärter Tnb überflüssig geworden. Die beiden Schrankenposten 5 und 5a wurden aufgelöst, die Gebäude abgerissen. Das Stellwerk Tnb wurde mit einem Anbau für die Schrankenbedienung versehen und war fortan der neue Schrankenposten 5. Die Ausfahrsignale K und L sowie das Einfahrsignal M und die Weichen 53, 55 und 60 wurden beim Fahrdienstleiter Tgl integriert.  Wegen der großen Stellentfernung zum Einfahrsignal M (rund 700m) wurde das Signal mit einem elektrischen Antrieb versehen. Mit dem Umbau konnte auch das noch besetzte Stellwerk Hls in Heiligensee geschlossen werden. Die Strecke nach Heiligensee war nicht mit einem Streckenblock versehen. Der Betrieb wurde quasi auf Nebenbahn-Niveau durchgeführt. Es konnte jederzeit ein Zug nach Heiligensee nachfahren. Für die Einfahrt von Heiligensee nach Gleis 5 mußte die Aufsicht Tegel die Fahrstraße durch Schließtaste auflösen, das der Fahrdienstleiter Tgl den Zugschluß nicht erkennen konnte.

Im Stellwerk Tgl war eine Mutteruhr installiert, die die Uhren des Bahnhof Tegel steuerte. 1979. Foto: Thomas Ley

Mit der Einstellung des S-Bahn-Betriebs durch die BVG am 09. Januar 1984 blieb dem Fahrdienstleiter Tgl nur noch der Güterverkehr mit dem anfallenden Rangiergeschäft übrig.

Mit dem Bau der Autobahn Richtung Hamburg wurden auf dem Bahnhof Tegel umfangreiche Umbauarbeiten nötig. Als Kompensation für diesen Eingriff erhielt die Deutsche Reichsbahn auf Kosten des Berliner Senats ein komplett neues Stellwerk für den Bahnhof Tegel. Ein Grund dafür dürfte auch die Ersatzteilbeschaffung für die Stellwerke gewesen sein. Für Hein, Lehmann-Stellwerke gab es 1987 einfach keine Möglichkeit mehr, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten Ersatzteile zu beschaffen oder gar herzustellen. Die Bauart des Hebelwerks, das in Tgl verbaut war, war 1987 sowieso einzigartig in Deutschland. Am 22. August 1987 ging das neue Spurplanstellwerk Tgl in Betrieb. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war das mechanische Stellwerk Tgl außer Betrieb. Das Stellwerksgebäude steht unter Denkmalschutz und verfällt zusehens.

7. Januar 1984.Mein Vater gibt die Einfahrt für die S-Bahn frei. Zwei Tage später ist die S-Bahn erst einmal Geschichte. Ein unbekanntes Mädchen schaut ihm beim Arbeiten zu. Foto Sammlung Lars Molzberger

Nachfolgend zwei Gleispläne von 1962 und 1976:

Gleisplan Tegel 1962. Sammlung Lars Molzberger

 

 

 

Situation des Stellwerksbezirk Tgl 1976. Sammlung Lars Molzberger

 

 

4. Damals und heute - ein Bildvergleich

 

 

Original Image
Modified Image

 

 Zwischen den Fotos liegen 30 Jahre Zeitspanne. 1985 ist das Stellwerk Tgl noch in Betrieb

5. Anmerkungen zum Hebelwerk und Fotos

 

Das Typenschild stammt vom Stellwerk Tsb. Beim Stellwerk Tgl war das gleiche Schild verbaut.Das Stellwerk Tgl war mit einer Bauart von Hein, Lehmann & Co ausgestattet, die bisher unter den bereits bekannten Aufnahmen im Internet nicht bekannt ist. Bei dieser Bauart ist die Grundstellung der Signalhebel unten, die der Weichen, Riegel und  Gleissperren oben. Auffälligstes Merkmal sind die Fahrstraßenhebel, die vertikal am Blockwerk angeordnet sind. Die Fahrstraßenhebel lassen sich nach links oder rechts bewegen, die Blocksperren sind unsichtbar im Blockwerk angeordnet. Bei späteren Bauarten ist die Hebelgrundstellung für Signale oben und die Fahrstraßenhebel vom Blockwerk abgesetzt vertikal angeordnet. Nach jetziger Erkenntnis ist diese Bauart auch in Polen nicht mehr vorhanden. In Wolsztyn (Wollstein), bei Eisenbahnfreunden als polnisches Dampflok-Mekka bekannt, sind Hein, Lehmann-Stellwerke heute noch in Betrieb,siehe hier.

Mit der Außerbetriebnahme des mechanischen Stellwerk Tgl am 22. August 1987 wurde dieses einzigartige Hebelwerk vor Ort zerschnitten und dem Schrott übergeben. Anscheinend hat niemand unter den Verantwortlichen der Deutschen Reichsbahn oder des damaligen Verkehrsmuseums den Wert des Hebelwerks für die Nachwelt erkannt.

 

 

 

 Quellen und weitere Links

[1] Bahnhofsdienstanweisung Bahnhof Tegel vom 01. Dezember 1929, Landesarchiv A Rep 080-01 Nr. 103
[2] Bley, Peter: Die Kremmener Bahn, Verlag  B. Neddermeyer 2004 Seite 89