Kurioses & Merkwürdigkeiten aus der Sicherungstechnik

 

Das Thema Sicherungstechnik ist ernst und trocken? Wie man's nimmt. Kurioses und Merkwürdigkeiten gibt es auch hier. Der folgende Text kann manchmal Spuren von Ironie und Sarkasmus enthalten. Also Vorsicht für die Zeitgenossen und -genossinnen, die zum Lachen in den Keller gehen! Eine Anmerkung zu den Signalbildern: Die Fotos entstanden an nicht in Betrieb befindlichen Anlagen.

 

Einfahrt und Ausfahrt gleichzeitig - Und das trotz Bad Aibling

 

Kaum zu glauben, was man auf dem Titelbild sieht. Das Einfahr- und das Ausfahrsignal stehen gleichzeitig auf Fahrt. Und das bei einer eingleisigen Strecke! Haben die nichts aus Bad Aibling gelernt? Die Fahrgäste kümmert es nicht, sie steigen unbekümmert in den Zug. Die sind heute alle abgestumpft oder was?

 

Naja, ganz so schlimm ist es nicht. Der Bahnhof Rothenburg ob der Tauber liegt an einer sogenannten Stichstrecke aus Richtung Steinach bei Rothenburg. Im Regelfall befindet sich nur ein Zug (der Regionalzug) zwischen Steinach und Rothenburg bzw umgekehrt. Es kommt aber manchmal vor, dass ein Güterzug nach Rothenburg fährt. Dann wird das mechanische Stellwerk Bauform Jüdel in Rothenburg örtlich besetzt und die Durchschaltung des Stellwerks aufgehoben.Solange nur der Regionalzug zwischen den beiden Bahnhöfen pendelt, ist das Stellwerk durchgeschaltet. Die Zustimmung für die Ein- sowie Ausfahrt sind gleichzeitig dauerhaft festgelegt. Übrigens ist das Foto mittlerweile Geschichte. Nach dem Formsignal-Bahnhofsverzeichis sind mit Stand 19. Okober 2015 die Formhauptsignale abgebaut. Wahrscheinlich nicht mehr betrieblich notwendig.

 

Die neuen Signalbilder für Triebfahrzeugpersonale

 

Nanu, was ist denn das? Die Eisenbahnsignalordnung wurde mal eben geändert. Das neue Signalbild namens Hp 0/2 überträgt dem Triebfahrzeugpersonal die Verantwortung. Nach Halt am Signal darf der Triebfahrzeugführer auf eigene Verantwortung am Signal vorbeifahren mit maximal 40 km/h. Ob der Fahrweg richtig liegt, muss der Triebfahrzeugführer selbst herausfinden. Sinn dieser neuen Reglung ist, dass das Stellwerkspersonal wegen dem intensiven Studium der Regelwerke keine Zeit für das Einstellen der richtigen Fahrstraße hat. Sollte eine Weiche nicht richtig stehen, darf der Triebfahrzeugführer über die üblichen Kommunikationseinrichtungen höflich um das Stellen der Weiche(n) bitten.

Ähnlich ist auch das neue Signal Vr 0/2 zu sehen. Das zugehörige Hauptsignal zeigt das o.a. Hp 0/2. In Anbetracht dessen, dass eh zuviel gerast wird, dient das neue Signalbild der Disziplinierung der Triebfahrzeugpersonale. Durch die erhöhte Aufmerksamkeit werden die Zugbeeinflussungseinrichtungen weniger in Anspruch genommen und damit geschont. Ab Hauptsignal gelten die oben aufgeführten Bestimmungen.

 

 

Werbung für Rohstoffbeschaffung mit Motiv vom Klassenfeind

 

Es ist schon eine Krux: Die junge Volkswirtschaft der DDR benötigte Rohstoffe für den Aufbau und letztendlich Sieg des Sozialismus. Wenn das nur die Bevölkerung wüßte. Also geschwind die Volkseigene Handelszentrale (VHZ) Schrott in Leben gerufen. Die 1950 gegründete VHZ Schrott war beauftragt, die Bevölkerung zum Sammeln von Eisen-, Stahl- und Buntmetallschrott zu animieren. 1956 gab die VHZ Schrott eine Sammelbildserie heraus, wohl um Kinder und Jugendliche für das Sammeln von Schrott zu bewegen. Das Bild stammt aus der Gruppe 1 Massenbedarfsgüter unserer volkseigenen Industrie. Dort steht zu dem Motiv folgendes geschrieben:

„Besonders verantwortungsvoll ist die Tätigkeit des Bahnangestellten im Stellwerk. Er hat neben der Bedienung vieler Signale die Aufgabe, die Weichen zu stellen. Solche Stellwerke finden wir vorwiegend an den Ausgangsseiten von Bahnhöfen, wo häufig auch die Rangierfahrten ausgeführt werden."

Ja, da gibt's nicht zu meckern. Der/dem Sammelbilderfreundin/-freund wird nur so nebenbei verschwiegen, dass das Stellwerk beim Klassenfeind steht. Agb steht für Anhalter Güterbahnhof in Berlin-Kreuzberg. Ja, genau: in Westberlin, wie es im offiziellen DDR-Sprachgebrauch hieß. Der Zweck heiligt die Mittel, heißt es, nicht wahr?

 

Wer Rohstoffe zum Morden im Krieg verschwendet, hat Zuhause keine mehr

 

Zugegeben: Was hat die provokante Überschrift mit Sicherungsstechnik zut tun? Mehr als Sie denken! Ist Ihnen auf alten Fotos an den Formhauptsignalen etwas aufgefallen? Die Blenden waren am Tage herabgelassen. Genauso wie am Blocksignal B des Bahnhofs Friedenau. Das hat man nicht etwa aus Spaß an der Freude gemacht, wo denken Sie hin? Wir sind in Deutschland, besser gesagt in Preußen. Da hat jedes Handeln eine höchstamtliche Grundlage. So auch hier:

Auszug aus dem Erlaß des Herrn  Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 22. Januar 1918 I 9 D 845:

„Um bei den Blenden der Haupt- und Vorsignale eine vorzeitige Abnutzung zu verhüten und den Ölverbrauch zum Schmieren der Achsen und Gleitflächen einzuschränken, empfiehlt es sich, wo besondere Gründe nicht entgegenstehen, die Blenden bei Tage bis zu einer an jedem Signal anzubringenden Marke herabzulassen; sie werden dann beim Stellen der Signalflügel und der Vorsignalscheibe nicht mitbewegt. Es muß darauf geachtet werden, daß die Blenden hierbei außerhalb der Umgrenzung des lichten Raumes bleiben. Bei Frostwetter ist von einem solchen Herablassen oder Blenden abzusehen. Geschieht das nicht, so könnten die herabgelassenen Blenden während ihres langen Stilliegens festfrieren und das Stellender Signale behindern, wenn sie bei Dunkelheit wieder hochgezogen werden."[1]

 

Der Hintergrund dieser Verordnung liegt an der Seeblockade, die Großbritannien nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs über das Kaiserliche Deutschland verhängte. Damit war das Reich von eine erheblichen Menge an Rohstoffen abgeschnitten, so auch vom Öl. Nachdem der Krieg bereits rund vier Jahre in Land ging und noch immer kein Sieg bevorstand, mussten die Verantwortlichen nach Einsparpotential suchen. Wenn man bedenkt, dass zu dieser Zeit tausende Formhauptsignale die Strecken und Bahnhöfe sicherten, kommt ein nicht zu verachtender Ölverbrauch zustande. 1927 waren bei der Deutschen Reichsbahn Gesellschaft 55661 Formhaupt- und 25420 Formvorsignale in Betrieb.[2] Macht zusammen 81081 Formsignale. Das Einsparpotential ist nicht zu verachten.

Über ein Jahr später war zwar der Krieg vorbei, aber die Wirtschaft des Reiches lag danieder. Der Minister der öffentlichen Arbeiten hielt am Blendenkurbeln fest:

Auszug aus dem Erlaß des Herrn Ministers der öffentlichen  Arbeiten vom 24. April 1919 I 9 D 2515:

„Aus den auf den Erlaß vom 22. Januar 1918, E.-N.-Bl. S. 5, erstattetem Berichten ist zu ersehen, daß sich das Verfahren, die Blenden der Haupt- und Vorsignale zur Verhütung einer vorzeitigen Abnutzung und zur Einschränkung des Verbrauchs an Schmieröl bei Tage bis zu einer an jedem Signal anzubringenden Marke herabzulassen, gut bewährt hat. Es ist daher auch weiterhin beizubehalten.

Zur Erreichung des angestrebten Zweckes würde es genügen, die Blenden so weit zu senken, daß sie von der Antriebvorrichtung nicht mehr mitbewegt werden können. Von einigen Eisenbahndirektionen wird aber darauf hingewiesen, daß es sich empfiehlt, um die Klarheit des Signalbildes nicht zu beeinträchtigen, die Blenden bei den mehrflügeligen Signalen etwa um eine Flügellänge herabzulassen und so einzustellen, daß bei Fahrstellung die oberste Blende durch den zweiten Flügel und die folgende durch den dritten Flügel verdeckt wird. Es wird ferner empfohlen, die Stellung der Blenden bei Tage durch je eine Marke am Laternenseil und am Mast, die bei richtiger Stellung der Blenden einander gegenüberstehen müssen, zu kennzeichnen. Für die Herstellung der Marke am Drahtseil wird mehrfach Wickeldraht an Stelle von Farbe verwendet, die an dem Drahtseil nicht genügend haltbar ist."[3]

 

Man hat gefallen am Schmierstoffsparen gefunden. Die dem Kaiserreich nachfolgende erste Deutsche Demokratie, die sog. Weimarer Republik, war nicht zum verschwenden geboren. Deshalb galt der Erlass 11 Jahre bis zur Abschaffung. Das Schreiben auf der rechten Seite trägt den 7. Oktober 1929 als Eingang. Der o.a. Erlass vom 24. April 1919 wird aufgehoben. Und was hat uns diese sprichwörtliche Schmierenkomodie gebracht? Richtig, die heutigen Historiker können Fotos zeitlich besser einordnen. Immerhin auf 11 Jahre genau. Wenn das der Kaiser wüßte. Und wissen Sie, wann die o.a. Aufnahme von Hans Schimanski entstanden ist? Am 23. Dezember 1928, also genau in der Zeit, als der Blendenerlass noch gültig war. DAS ist deutsche Gründlichkeit, nicht wahr?

 

 

 

 

Warnung vor Mitarbeiter_innen süddeutscher Organisationseinheiten

 

Zum Abschluss sei das offizielle Signal vorgestellt, das vor Mitarbeiter_innen süddeutscher Organisationseinheiten warnt. Sobald das Singal aufleuchtet, ist höchste Vorsicht angebracht. Insbesondere sollte das Triebfahrzeugpersonal genauestens auf die abgegebenen Meldungen achten und auf verständliche Wiederholung bestehen. Ansonsten ist die sicherere Durchführung des Betriebes aufs äußerste gefährdet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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[1] Zeitschrift für das gesamte Eisenbahnsicherungswesen (Das Stellwerk) Nr 12 vom 10. Juni 1918, Seite 64
[2] Reichsbahnhandbuch 1927, Seite 476
[3] Zeitschrift für das gesamte Eisenbahnsicherungswesen (Das Stellwerk) Nr 13 vom 10. Juli 1919, Seite 71

Wissenswertes über Ersatzstoffe im Ersten Weltkrieg:

http://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/texte/aufsaetze/huber-ersatzstoffe.html

Letzte Bearbeitung: 16. Mai 2017

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